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Argentina and Chile, Part OneThe South
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Buenos Aires, erster TeilLiebe auf den ersten Blick
Noch selten klappte alles so wie am Schnürchen wie bei unserem Flug von Johannesburg nach Buenos Aires. Kaum jemand klagte über Übergewicht oder Übergrösse unserer Gepäckstücke, alles kam vollständig und heil an und am Flughafen wurden wir von einem Minibusfahrer mit Namenstäfelchen erwartet. Er brachte uns in die Stadt und wir verliebten uns bereits auf dem Weg zu unserer Unterkunft in Buenos Aires. Argentiniens Metropole pochte. Die Trottoirs und Parks waren voll von Menschen, der Verkehr war chaotisch, alles war farbig und frisch. Im Gegensatz dazu erschien uns Südafrika fast etwas „sozial verarmt“ – wir blühten auf! Erst jetzt wurde uns richtig bewusst, was wir trotz aller Gastfreundschaft vermisst hatten: das Leben auf der Strasse.
Die Sprachschule vermittelte uns einen Schlafplatz bei einer Gastfamilie. Die „Familie“ allerdings war etwas sonderbar und der Familienanschluss beschränkte sich auf die gemeinsame Badbenutzung. Da konnten wir uns geradeso gut eine Bleibe mit etwas mehr Privatsphäre und Platz suchen, wenn man dort sein Spanisch eh nicht praktizieren konnte. Also erkundigten wir die Stadt, schauten uns ein paar Hotels und Wohnungen an und fanden zwei Tage später einen geeigneten Unterschlupf. So hatten wir für die kommende Zeit ein eigenes Zuhause mit Küche, Mikrowelle, Waschmaschine, TV, Stereo- und Klimaanlage, Internetanschluss und Putzfrau. Wir genossen es mal wieder so richtig, zu „haushalten“ und füllten Vorratsschränke und Weingestell. So ausgerüstet konnten wir den ersten Besuch seit Beginn unserer Reise in unseren eigenen vier Wänden bewirten, mussten uns allerdings dafür extragrosse Pfannen von der Nachbarin borgen. Wir genossen unser Daheim in vollen Zügen. Nicht, dass wir jetzt allzu häuslich wurden, aber da wir über einen Monat in Buenos Aires zubrachten, war so eine Wohnung schon sehr praktisch.
Tja, was machten wir sonst noch so in einer lateinamerikanischen Metropole, ausser Füsse hochlagern und Älplermagronen kochen? Ne ganze Menge. Als Erstes natürlich Spanisch lernen. Wenn wir herumreisen, wollen wir uns ja auch mit den Leuten unterhalten können. Also gingen wir einen Monat zur Schule und lernten je nach Fleiss und Begabung anständig gut „Castellano“. Es machte wirklich Spass, sich mit jedem Tag etwas besser mit den Einheimischen unterhalten zu können. Natürlich wurden wir nicht in dieselbe Klasse eingestuft und das war uns auch recht so. Auch unser Stundenplan deckte sich nicht ganz, sodass jedem ein bisschen Zeit für sich blieb.
Wir verbrachten Tage damit, in den grossen Parks und den engen Gassen herumzustreifen. Jedes Quartier hatte seinen eigenen Charakter: lebendig bis verschlafen, geschäftig bis verträumt, von posh und hip bis alt und grau, von Glaswolkenkratzern bis zu Bretterbuden. Dies machte den Charme der Stadt aus. Man konnte sich je nach Lust und Laune in verschiedene Welten begeben. Einfach in den Schlund der Metro verschwinden und an einem ganz anderen Ort wieder aus dem Erdboden auftauchen. Beamen in Zeitlupe sozusagen. Es war natürlich nicht immer möglich, mit der Metro zu fahren. Wir waren schliesslich in Buenos Aires und das heisst Streiks und Kundgebungen aller Art allenthalben. Vornehmlich zu den Spitzenzeiten legten die Metroangestellten ihre Arbeit nieder und das ohnehin schon beachtliche Verkehrschaos kam praktisch zum Erliegen. Da nützte natürlich auch die Flucht in ein Taxi nicht viel. Und mit den „Colectivos“ war es auch nicht besser, zumal das Busnetz ziemlich undurchschaubar war. Abertausende Russ spuckende Busse durchquerten in halsbrecherischer Fahrt die Stadt und bei fast zweihundert Linien war es reine Glückssache, einen Bus zu erwischen, der einigermassen direkt dem gewünschten Ziel entgegensteuerte. Wenn wir nicht zu Fuss gingen oder mit der Metro fuhren, nahmen wir uns häufig ein Taxi. Wir sind wohl in unserem ganzen Leben noch nicht so viel Taxi gefahren, wie in Buenos Aires. Aber hier war es ja auch so einfach. Man brauchte bloss den Arm hochzuhalten und innert Sekunden hielt einer der vierzigtausend gelbschwarzen Wagen, die alleine im Zentrum verkehrten. Zudem waren die Taxis so günstig, dass man sich diesen Luxus guten Gewissens leisten konnte.
Wir konnten jedem Stadtteil seine schönen Seiten abringen und hatten wohl bald mehr von der Stadt gesehen, als mancher „Porteño“ (so nennen sich die Buenos Airer). Uns gefiel’s, in den Gassen herumzustreunen oder dem Treiben von einer Parkbank aus zuzusehen. Und zu gaffen gab’s reichlich: Vom samstagabendlichen Stelldichein der Bräute am Hafen über die professionellen Hundespazierenführer mit einem Dutzend Fidos an der Leine, der Schwulendemo direkt neben den Fahnenmarsch exerzierenden Soldaten, den erotischen, teilweise etwas in die Jahre gekommenen Tangotänzern, den Grossmüttern, die seit zwanzig Jahren jeden Donnerstag auf der Plaza de Mayo gegen das Vergessen ihrer unter der Militärdiktatur verschwundenen Kinder und Enkel marschieren, den Porteros in den Eingangshallen der alten Patrizierhäuser beim morgendlichen Klingelbrett-auf-Hochglanz-polieren, den zahlreichen Filmequipen, die in den Strassen der Stadt ihre Werbespots drehen (jetzt wissen wir endlich, wie die Darsteller es schaffen, ohne das Lenkrad zu bewegen und auf die Strasse zu schauen, ohne Unfall durch die Gegend zu flitzen), den Künstlern, Strassenhändlern, bis zur wöchentlichen Pilgerung der Fussballfans zu den grossen Stadien der Stadt.
Unsere Wohnung war an perfekter Lage um diesem Spektakel, einem schier endlosen Strom aus hupenden Autos, überfüllten Bussen, bannerschwingenden Fans jeden Alters, welcher der breiten Avenida entlangfloss, zuzusehen. Ansonsten war der Blick über die mehr als zwanzigspurige Strasse ja nicht unbedingt ein Augenschmaus. Und die Obdachlosen, die sich unter der Brücke einnisteten, wären vermutlich vom Tourismusbüro auch nicht gerade als Sehenswürdigkeit angepriesen worden. Aber hier gehörte eben alles dazu. Während sich die „Piqueteros“ unter der Überführung einrichteten, kochten und schliefen, verwandelte sich unsere Strasse in eine Abfallallee. Vor ein paar Jahren machten die Piqueteros aus der Not eine Tugend und revolutionierten das städtische Abfallwesen. Nachdem sich die Entsorgungsfirmen nämlich weigerten, den Güsel zu trennen, fingen ein paar findige Arbeitslose an, Karton, Metall et cetera zu sammeln und direkt zu den Recyclern zu bringen. Nach und nach hat sich dies institutionalisiert, die Abfallsammler sind zu einer lautstarken Gruppierung angewachsen und die Entsorgungsfirmen hintersinnen sich über den verpassten Umsatz.
So versucht jeder, sein kleines Geschäft zu machen. An den Ampeln stehen Scheibenputzer, Jongleure, „Mentita“-Verkäufer oder junge Männer mit Werbeplakaten. In der Metro legen einem Kinder Heiligen- oder andere Bildchen oder ein paar Haarklammern auf die Knie, in der Hoffnung auf ein paar Centavos. Verkäufer von Ramsch aller Art findet man überall und den Flugblätterverteilern auszuweichen wurde zum eigentlichen Spiessrutenlauf. Zumindest in der Fussgängermeile. Es taten einem vor allem die älteren Herren leid, die gezwungen waren, einer an sich überflüssigen, stupiden und bestimmt lausig bezahlten Arbeit nachzugehen, um zumindest etwas zu verdienen. Der Arbeitsmarkt in Argentinien ist alles andere als rosig und die Stellenausschreibungen tönten etwa so: „Gesucht: Frau, achtzehn bis siebenundzwanzig Jahre, gutaussehend.“ Ein Inserat, in dem jemand von über fünfzig Jahren eine Chance gehabt hätte, fand sich praktisch nicht. Und dass die äussere Erscheinung das Hauptkriterium für viele Stellen zu sein scheint, erklärt auch den regelrechten Schlankheitswahn der Porteños. Wandelnde Schaufensterpuppen à la Twiggy überfluteten die Innenstadt.
Gepflegt waren die Argentinier aber nicht bloss im Aussehen. Selten haben wir so viele anständige Jugendliche getroffen, wie hier. Alten und Schwangeren in der U-Bahn oder im Bus seinen Platz anbieten, das passiert ja vielleicht auch noch in der Schweiz. Aber dass Frauen mit Kindern im Bauch oder auf dem Arm ebenso selbstverständlich an die Spitze der Warteschlangen am Bankschalter oder an den Bushaltestellen gelassen wurden, das war für uns doch eher ungewohnt. Echte Kavaliere, die Porteños, extrem höflich und zuvorkommend. Man hörte auch praktisch nie ein lautes Wort, geschweige denn eine tätliche Auseinandersetzung. Argentinier schienen äusserst tolerant in allen Dingen. Vielleicht ist es eine gute Angewohnheit, dass auch Männer untereinander sich zur Begrüssung oder zum Abschied einen Kuss auf die Wange drücken.
Buenos Aires wäre ein schöner Flecken, um sein Pensioniertendasein zu verbringen: Cafés, in denen es sich gemütlich Zeitung lesen lässt, hat es an jeder Ecke, Einkaufen und Schwätzchen halten kann man in den kleinen Metzgereien, Gemüseläden, Bäckereien und in den kleinen Mini-„Supermercados“, die es hier in Hülle und Fülle gibt. Grosse Supermärkte haben die Stadt zum Glück noch nicht überrannt (und deren Anteil am Kuchen ist sogar sinkend) und so finden sich alle Dinge des täglichen Gebrauchs gleich um die Ecke und die Strassen strotzen vor Leben. Sollte man irgendwann nicht mehr so gut zu Fuss sein, kann man sich eigentlich alles Freihaus liefern lassen. Ausläufer schwirren mit einem Café auf dem Tablett durch die Gegend, das Brot wird in gossen Binsenkörben per Velo verteilt, Pizzas rollen per Motorrad durch die Strassen, aber auch Bleistifte, Kopfsalate und Eisennägel werden einem bis vor die Haustüre gebracht. Und dies praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit. Die Geschäfte lockten nicht bloss mit Hauslieferdiensten, sondern mit grosszügigen Rabatten und Kauf auf Pump. In Südamerika scheint es Brauch zu sein, dass selbst die täglichen Einkäufe in sechs Monatsraten abgestottert werden. Im Restaurant gab es zum Teil schier unglaubliche Promotionen, wo wir uns ernsthaft fragten, wo hier noch ein Gewinn erwirtschaftet werden konnte. Und sogar diese konnte man sich selbstverständlich teilen, denn die Portionen waren imens. Das ist hierzulande so natürlich, wie jedes Dessert mit Dulce de Leche verfeinert wird. Mann, wir wurden süchtig danach. Eine zähflüssige hellbraune und zuckersüsse Masse, die selbst Gelée Royale den Rang ablaufen könnte. Vor allem in den Alfajores, jenen mehrstöckigen Biscuits die in allen erdenklichen Variationen (je nach Region) auftauchten und für uns fester Bestandteil jedes Tages wurden. Kulinarisch war Argentinien definitiv ein Highlight. Nicht nur der süssen Gebäcke wegen. Es dürfte ja gemeinhin bekannt sein, dass die zartesten Rinder in Argentinien aufwachsen.
Neben dem Ausleben fleischlicher Gelüste und den Ausschweifungen des Grossstadtlebens erledigten wir noch Büroarbeiten wie Tagebuch aufarbeiten und Berichte für die Homepage verfassen. Da war der Internetanschluss in der Wohnung recht praktisch. So konnten wir auch noch „chatten“, über’s Internet telefonieren, live Radio DRS hören und sogar die Tagesschau gucken. Wir nutzten alle Kanäle der modernen Telekommunikationstechnik. Natürlich auch das gute alte Telefon, denn in die Schweiz konnte man praktisch zum Ortstarif telefonieren.
Unser Ferneseher hatte etwa achtzig Kanäle. Von HBO („solo por Atsche-Be-Ooo“) über TNT („en Te-Enne-Te“) bis zum Cinecanal („vive Choliwud – vive Sinecanaal“) – wir kannten alle Programm-Werbesprüche in- und auswendig. Wir taten’s als Hausaufgaben ab, denn die Filme liefen in Spanisch oder hatten zumindest spanische Untertitel. Das Kino zeigte die Filme immer in Originalfassung und wir besuchten es oft. Für fünf Pesitos, etwa zwei Franken, konnte man sich gleich zwei Filme hintereinander reinziehen. Natürlich nicht in den modernen Multiplexkinos, sondern in den altehrwürdigen Filmpalästen in der Innenstadt, mit quietschenden Sesseln, der Bild- und Tonqualität der sechziger Jahre und dem Popcornverkäufer aus derselben Ära, der mit monotoner Stimme seinen „Choclooo“ (Popcorn) anpries – über zehn Minuten lang, nonstop, auch wenn bloss eine Hand voll Leute im Saal sassen. Ungleich mehr Charakter als die modernen Kinokomplexe hatten sie, die alten Cinémas, und immer Platz. Leider sind sie aber auch hier, wie überall sonst, vom Aussterben bedroht. Und wo vor einer Woche noch in grossen Leuchtlettern der neuste Null Null Sieben angekündigt wurde, prangt heute das Banner der Universalkirche, deren Immobilienabteilung es sich zum Ziel gemacht zu haben scheint, weltweit alle Konkurs gegangenen Kinos aufzukaufen. Konspirationstheoretiker wie Brö behaupten natürlich, dass sie von ebendieser Organisation in den Konkurs getrieben wurden, um die verwerflichen cineastischen Belustigungen von den Leinwänden der Welt zu verbannen. Keine Ahnung was jetzt in diesen Hallen abgeht, aber grad kürzlich lasen wir in der Zeitung, dass ein Pater besagter Kirche in Brasilien mit dreieinhalb Millionen US-Dollar im Koffer erwischt worden war – vermutlich auf Einkaufstour mit dem Zehnten seiner Schäfchen. Auch nicht gerade tugendhaft...
AntarktisMit dem Segelboot zu den Pinguinen
Mitte Dezember flogen wir runter nach Ushuaia, ganz im Süden Argentiniens und verbrachten einen Monat zusammen mit Freunden aus der Schweiz in der Antarktis. Nachzulesen unter somewhereonearth.org – Antarktis.
PatagonienWeiden, Wind und Wanderschuhe
Nachdem wir uns vom Gros unserer Freunde verabschiedet hatten, begleiteten uns Moni und Ivo noch bis nach Punta Arenas. Wir liessen Ushuaia hinter uns und fuhren auf kurvenreicher Strasse durch die spitzen Berge Feuerlands, bis das Land allmählich flacher wurde. Leider hielt der Fahrer bei der berühmten Schoggifabrik nicht an, was mindestens zwei Passagierinnen etwas schade fanden. Als wir beim Grenzübergang nach Chile den Bus verliessen, fegte es uns fast aus den Schuhen. Wir bereuten keine Minute, dass wir unser Tandem nicht runter nach Feuerland, respektive Patagonien geschleppt hatten. Hundert Stundenkilometer Rückenwind wären zwar mal eine schöne Erfahrung gewesen, aber zumindest hier hätte uns das Lüftchen direkt ins Gesicht geblasen.
Die Mannen vom Zoll interessierten sich mehr für ihren Fernseher als für die Immigranten, machten mit unseren Pässen kurzen Prozess und unterliessen es, das Gepäck nach illegal importierten Lebensmitteln zu durchstöbern. Allerdings hätten wir es ja nicht mal so pressant gehabt, denn nach einer kurzen Weile im Bus hiess es bereits wieder aussteigen und möglichst lange Mittag zu essen. Die Fähre, die uns über die Magellanstrasse auf’s patagonische Festland bringen sollte, traute sich nämlich bei diesen garstigen Verhältnissen nicht raus und so bildeten sich an beiden Ufern beachtliche Schlangen aus Lastwagen und Bussen. Jeweils im Abstand von ein paar Stunden hielt uns der Buschauffeur mit den kurzfristigen Wetterprognosen und der Chance für eine baldige Überfahrt bei Laune. Wir, in Geduld geübt, hatten keine Probleme mit der Warterei (und dank den schlampigen Zöllnern auch noch Käse und Brot zum Znacht). Nicht so jedoch ein schweizer Familienvater, der den Fahrer persönlich für Patagoniens Wetterkapriolen verantwortlich machte und von seiner Tochter im Kindergartenalter mit „jetzt send mer scho do ond etzt esch es eso!“ zur Räson gebracht werden musste. Hoppla – da kann der Herr Papa noch kräftig was vom Töchterchen lernen in Sachen Reisegenuss. Als es eindunkelte, konnten wir dann doch noch übersetzen und zwei Stunden später trafen wir mitten in der Nacht in Punta Arenas ein. Für einmal waren wir dankbar für die Abschlepper an der Busstation, denn so wurden wir direkt zu einem Hostal gebracht und konnten uns in die gemachten Betten schmeissen.
Punta Arenas war ein nettes Städtchen, gebaut nach dem typischen Muster, das wir hier überall antrafen. Im Zentrum die Plaza, gesäumt von Post, Gemeindehaus, Kirche und Banken. Normalerweise war dies der Nullpunkt für die Strassen, die im Schachbrettmuster angelegt waren. Logischerweise änderten sich beim Nullpunkt die Namen der Strassen und wenn zu wenig Strassen für zu viele Helden vergangener Schlachten bereitstanden, änderten die Strassen manchmal drei, vier mal ihren Namen. Ein Block entsprach hundert Hausnummern, was die Orientierung zusätzlich erleichterte. Hatte man sich erst einmal die Lieblingskriegsherren des Landes eingeprägt, wusste man immer, welcher Strasse man in welcher Richtung folgen musste, um ins Zentrum zu gelangen, denn die Namen der Hauptstrassen waren ebenfalls überall die gleichen. Rund um die Plaza fanden sich Läden und Restaurants und je nach Grösse des Ortes manchmal sogar eine Fussgängerzone. Wir schätzten das System und werden es in der Schweiz wohl vermissen. Jedenfalls, wenn Brö wieder als Taxifahrer anheuern müsste und sich in irgendwelchen unlogisch verzwackten luzerner Quartierstrassen verirrt.
Zu viert sahen wir uns das Städtchen an, gingen zum Hafen, tranken Fan-Schopp (Bier mit Fanta) und assen Completos (Hotdogs mit Sauerkraut, Avocado, Tomaten und Mayonnaise). So viel zu den kulinarischen Köstlichkeiten Chiles. Der „Must-Go“-Tipp aus dem Reiseführer gab auch nicht viel mehr her. Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns von Moni und Ivo. Die letzten Tränen kullerten - jetzt waren wir also wieder alleine unterwegs. Wir fuhren mit dem Bus nach Puerto Natales, einem Ort mit brummligen Chilenen und berucksackten Touristen. Wir mieteten uns ebenfalls zwei grosse Rucksäcke, die wir mit Esswaren für eine Woche füllten, sowie Wanderstöcke. Daran erkennt man übrigens echte Schweizer: Wo sich andere mit einem oder gar keinem Stock begnügen, stapfen Helvetiens Wandervögel mit zwei Krücken durch die Lande. Das hat uns mal jemand am Kilimanjaro gesagt und es scheint wirklich was Wahres dran zu haben. Wir als Frührentner standen natürlich zu unseren Wurzeln und verteilten das Gewicht unserer unglaublich schweren Rucksäcke auf vier Pfeiler.
Die SAC-mässige Frühstückszeit von sechs Uhr dreissig zwang uns mitten in der Nacht aus dem Bett und eine knappe Stunde später waren wir im Bus zum Torres del Paine Nationalpark. Natürlich mussten noch allerhand andere Bergvagabunden von ihren Hostals eingesammelt werden. Das ist das praktische hier: Man wird mit dem Bus direkt von seiner Bleibe abgeholt und kriegt erst noch eine mehr oder weniger intensive Stadtbesichtigung, bis alle Schäfchen beisammen sind. Beim Parkeingang wechselten wir in einen kleineren Bus, der uns zum ersten Camp brachte. Dummerweise liessen wir aber unsere teuer gemieteten Wanderstöcke liegen. Das Frührentnerdasein offenbart sich allem Anschein nach auch in einer schleichenden Arterienverkalkung... Dank Funk und den netten Buschauffeuren fanden diese aber am späten Nachmittag doch noch den Weg zu uns. Der Park empfing uns mit typisch patagonischem Wetter: ein bisschen Sonne, ein wenig Regen und viel, viel Wind. Wir stellten unser Zelt aerodynamisch korrekt auf und funktionierten mangels Gehhilfen und Sicht in den Bergen unseren ersten Wander- in einen Ruhetag um.
Das Tal zu den grossen Granitblöcken, die dem Park seinen Namen gaben, lag auch am nächsten Tag in dichtem Nebel und so sparten wir uns diese Route in Hoffnung auf besseres Wetter für den Schluss auf. Schon nach wenigen Kilometern wurde das Wetter garstiger und noch bevor wir den Lago Nordenskjöld erreichten, stiegen wir definitiv in die Regenklamotten. Der Wind pfiff uns ins Gesicht und aus dem Nichts entstanden heftige Böen, die uns fast vom Pfad fegten. Zum Glück pressten uns die superschweren Rucksäcke kräftig in den Boden, sodass wir den Halt nicht verloren. Das war dann auch das einzig Positive, das wir unserer Fracht am Rücken abgewinnen konnten - ausser dem feinen Inhalt natürlich. Die Traggestelle waren nicht gerade schweizer Norm-Qualität und so recht bequem wurden sie auch nach mehrstündigem Tragen nicht. Jammern half nichts, wir mussten weiter. Wir stapften durch den Regen und nach ein paar Stunden erreichten wir das Camp „Los Cuernos“. Von den beiden Hörnern sahen wir natürlich nichts aber der sturmgepeitschte See entschädigte uns für die mangelnde Aussicht. Das Refugio war bereits voll belegt und nicht mal im Speisesaal fand sich ein Plätzchen, um die Socken zu trocknen. Also stellten wir unser Zelt im Schneeregen auf und verliessen es bis am nächsten Morgen bloss noch für die wichtigsten Verrichtungen. Hier zahlte sich unsere geräumige Apside aus, denn wir konnten geschützt von atmosphärischen Einflüssen unser Essen kochen und die Kleider trocknen. Allerdings entdeckten wir die ersten Mängel der südafrikanischen Zeltreparatur (der geneigte Leser mag sich an das Debakel erinnern). Es tropfte durch die Reissverschlüsse und die Flicken lösten sich vom Zeltstoff und gaben den Weg frei für etliche Rinnsale. Ronelle, nimm dich in Acht, wenn wir wiedermal nach Pretoria kommen!
Der nächste Tag begann schon recht viel freundlicher und an der Sonne und im nie ruhen wollenden Wind trockneten Kleider und Zelt im Nu. Der Weg führte noch ein bisschen dem See entlang, später über eine weite Ebene, bis wir einen schönen Wald erreichten. Die Gegend war wirklich geschaffen für eine ausgedehnte Wandertour. Wir waren auch beileibe nicht die Einzigen, die sich in diesem grossen Park tummelten. Grössere und kleinere Gruppen schleppten ihre Tramper durch die Gegend oder waren mit Tagesrucksäcken und Führern von Refugio zu Refugio unterwegs. Mit dem Zelt war man natürlich etwas flexibler in der Wahl der Übernachtungsplätze. Wild campieren war zwar verboten, aber die Parkverwaltung hatte etliche Campamientos eingerichtet und so konnten wir unsere Bleibe in einem wunderschönen Wäldchen einrichten. Wir blieben zwei Tage im Campamiento „Italiano“ und machten eine Tagestour ins Valle Français. Die Namen der geografischen Orte widerspiegelte auch die Internationalität der Besucher. Aus allen Ecken der Welt strömten Naturliebhaber an diese Perle am Zipfel Südamerikas. Bloss mit Stöcken und Picknick bewaffnet liess es sich schon bedeutend einfacher das Tal hinauf kraxeln. Die Markierung der Wege hätte allerdings noch einiges an Verbesserungspotenzial, sodass wir irgendwann vom Weg abkamen. Im Schlepptau ein paar andere Wanderer, die unsere selbstsicheren Tritte als Zeichen von Ortskenntnis deuteten. Als es dann nicht mehr weiter ging, hatten wir zwar ein atemberaubendes Gebirgspanorama vor uns, nicht aber das erwartete Camp. Tja, wir wollten ja eh wieder zurück und stapften durch Geröll und Bäche, an Gletschern vorbei und über grosse Moränen hinunter ins Tal. Beim Sonnenuntergang begannen die Berge rot zu leuchten und das Plätschern des Baches, der Wind der durch die Baumwipfel strich, taten das ihre, um die Idylle perfekt zu machen.
Die Wanderung nach Pehoe war recht gemütlich und auch das Wetter zeigte sich erneut von der schönen Seite. Wir kamen mittags am Campingplatz an und genossen in der Sonne liegend, dösend, plaudernd und lesend den Nachmittag. Die Italiener im Zelt nebenan weckten uns ziemlich früh mit typisch lateinischer Redseligkeit. Na gut, standen wir eben auch auf. Wir packten das Zelt zusammen und marschierten los zum Lago Grey. Wir kamen schon bald ins Schwitzen, denn der Weg führte aufwärts, bis sich uns ein wunderschönes Panorama auf den See bot. Riesige Eisberge trieben darin, vom Wind in kleine Buchten geschoben. Erinnerungen an die Antarktis kamen auf und vor allem Patrizia hatte das Gefühl, dass sie sich an dieser Welt aus Weiss und Blau noch nicht satt gesehen hatte. An kleinen Seen vorbei und durch lichten Wald erreichten wir am Nachmittag das Ende des Sees, wo sich ein riesiger Gletscher in die kalten Fluten schob. Es war echt eindrücklich. Wir stellten unser Zelt nahe dem Ufer auf und kochten unser Nachtessen im kühlen Abendwind. Wolken zogen auf und wir verzogen uns in die Schlafsäcke. Für den Sonnenuntergang schälten wir uns allerdings noch einmal aus unseren Daunenhüllen und genossen das Glitzern der letzten Strahlen in Wasser und Eis.
Der Wind zerrte am Zelt und wir assen die obligaten Haferflöckli mit Pulvermilch in unserer Stoffbehausung. Wir machten uns auf demselben Weg zurück nach Pehoe. Die Gegend war ja wirklich sehr schön hier, aber mit ein paar Tieren angereichert, wäre es wohl noch ein bisschen interessanter, diese Landschaft zu erwandern. Für solche Fälle hatten wir immer ein paar Grimassen auf Lager und machten uns mit Mimik und Gegrunze unseren eigenen Zoo. Man wird erfinderisch, wenn man vierundzwanzig Stunden täglich beisammen ist und es gilt, sich die Stunden zu vertreiben und sich mit einfachen Mitteln bei Laune zu halten. Just als wir das Refugio erreichten, fing es an zu regnen. Glück gehabt, denn drinnen gab es heissen Kaffee und Picknick aus dem Rucksack. Abends nahmen wir die Fähre und den Bus bis zum Camp Las Torres. Es wurde fast Mitternacht, bis wir in die Schlaftüten krochen.
Brö weckte sich früh, denn er wollte die Wanderung zu den Torres bei jedem Wetter in Angriff nehmen. Patrizia streckte den Kopf aus dem Zelt, liess sich den Wind um die Ohren pfeifen und ein kurzer Blick in die wolkenverhangenen Berge konnte sie von der wohligen Wärme des Schlafsacks überzeugen. Brö machte sich alleine auf den Weg und schlug mit leichtem Gepäck ein ziemliches Tempo an, da er nicht wusste, wie weit es bis zum Mirador del Torres war und den Zeit- und Kilometerangaben der Parkverwaltung nicht ganz zu trauen war. Die Blockkletterei zum Schluss war genau nach seinem Geschmack und in Rekordzeit war der Aussichtspunkt erreicht. Die drei gigantischen Granittürme versteckten sich mehrheitlich hinter Wolkenfetzen, aber ab und zu erhaschte man einen Blick auf die Felsnadeln, die dem Park seinen Namen gaben. Auf dem Rückweg gab's sogar noch einen Kaffeehalt und die Zeit reichte locker, um heute noch nach Puerto Natales zurückzufahren. Transport, Unterkünfte und Campingplätze waren perfekt organisiert im Torres del Paine Nationalpark. Ein anderes Mal allerdings würden wir uns wohl ein Lama fürs Gepäck anheuern... Und ehrlich gesagt: Gegen das Schweizer Alpenpanorama kommt so schnell nichts an – keine Ahnung, wieso alle Welt hier hinunter tingelt und es so unglaublich spektakulär findet.
Statt Kirchenglocken ertönte aus Lautsprechern „Ave Maria“ – es war Sonntag, unser Bus fuhr um elf Uhr und wir hatten Zeit für ein gemütliches Frühstück in der Küche des Hostals. Bald überquerten wir wieder die Grenze zu Argentinien, konnten vom Touristenbonus profitieren und mussten unser Gepäck nicht durchkramen lassen. Hätte Brö schön angeschneggelt, den Inhalt des prallvollen Bobsacks auszubreiten und wieder einzuordnen. Die Landschaft war bis auf ein paar Farbtupfer in Form von Schafen und Guanacos (kleinere Verwandte der Lamas) relativ unspektakulär. In Rio Gallegos brauchten wir nicht lange zu warten und fanden einen Bus, der uns weiter Richtung Norden brachte. Es wurde langsam dunkel und wir brausten durch die Nacht. Ab und zu sah man in der Ferne beleuchtete Ölfelder, ab und zu fuhren wir durch ein kleines Städtchen, ab und zu legten wir die Bücher beiseite und konnten sogar etwas schlafen. Es wurde Morgen und einige Stunden später Mittag. So viel zum Thema Busreisen. Und der unglaublichen Weite Patagoniens.
Der früheste Termin, um von Puerto Madryn wegzukommen, war in vier Tagen. Alle Busse, und es waren etliche, waren komplett ausgebucht. Zum Glück war es aber ein schönes Städtchen und wir genossen vier Tage am Strand, respektive im Strandcafé. Je nach Gusto. An den leckeren Glacés konnten sich beide gleichermassen erfreuen. Die Kunst, Pizza zu backen, konnte sich nicht in allen Details nach Argentinien retten, aber Gelati zu machen haben die italienischen Immigranten nicht verlernt. Angereichert um ein paar typisch südamerikanische Geschmacksrichtungen bot sich eine schier endlose Auswahl an eisigen Schlemmereien.
Wir schrieben den fünfhundertsten Tag unserer Reise. Ein Grund zum Feiern eigentlich, doch irgendwie war uns momentan eher nach getrauter Einsamkeit. Die Antarktisreise war vorbei, die Freunde waren weg und es hingen noch viele unverarbeitete Erlebnisse in der Luft. Momentan hatten wir nicht mal gross Lust, miteinander zu reden. So ging eben jedes seinen eigenen Weg und die paar Tage, die wir hier verbrachten, waren eher ruhig. Patrizia genoss die frische Briese, das Rauschen der Wellen und sogar das Kreischen der Kinder, die Sandburgen bauten und fröhlich im Meer plantschten. Es erinnerte an die Sommerferien, die sie als Kind in Italien verbracht und so geliebt hatte. Brö derweil machte es sich im Schatten der Strandbeiz gemütlich oder zottelte ins Museum (das natürlich seit ein paar Monaten wegen Renovation geschlossen war).
Im „Semi-Cama“-Bus (Liegesessel) fuhren wir durch die Nacht rauf nach Buenos Aires. Es war Zeit, weiter zu ziehen. Vergeblich warteten wir auf einen Frühstückshalt, doch zum Glück hatte es in den meisten argentinischen Bussen einen Container mit lauwarmem, zuckersüssen Kaffee. So blieb zumindest der Koffeinspiegel im Lot. Gegen Mittag fuhren wir in die Stadt hinein zum Busbahnhof und fuhren mit dem Taxi zu unserer Wohnung. Nicht mehr ganz so luxuriös wie bei unserem ersten Besuch, aber im gleichen Gebäude, sodass es für uns fast wie ein Nachhausekommen war. Wir richteten uns kurz ein, holten unser Gepäck aus dem Lagerraum und sahen nach unserem Tandem. Alles noch da!
Als Erstes fuhren wir zum Büro der Malaysia Airlines, um unseren Rückflug nach Südafrika zu verlängern. Wir wollten uns alle Optionen offen lassen. Natürlich hätte dies, trotz zäher Verhandlungen, einiges mehr gekostet, als ein neues Retourticket inklusive einer Woche im Viersternehotel, also liessen wir unseren Flug verfallen. Bei den Tarifen der Fluggesellschaften soll mal einer schlau werden.
Das Wetter in Buenos Aires hatte sich im Vergleich zu unserem ersten Aufenthalt vor gut zwei Monaten ein bisschen geändert. Wir schrieben inzwischen den siebten Februar, es war unglaublich schwül und regnete häufig. Nach dem ersten Gewitter kamen die Moskitos zu Tausenden und die weissen Wände unseres Balkons waren schwarz vor lauter Viechern. Nach einer sportlichen Mückenjagd im Zimmer schliefen wir nackt unter dem auf vollen Touren laufenden Ventilator, so drückend war die Hitze.
UruguayKleines Land mit langem Strand
Fast eine Woche lang brauchten wir, um unser Gepäck umzubeigen und den Göppel zu entmotten. Dann zischten wir für einen knappen Monat ab in die Sommerferien nach Uruguay. Nachzulesen unter somewhereonearth.org – Uruguay.
Buenos Aires, zweiter TeilSpanisch und Tandem feilen
Als wir zurückkamen, besuchten wir nochmals die Sprachschule und verwöhnten unsere Artikulation während drei, respektive vier Wochen mit zwei Privatlektionen pro Tag. Etwas Grammatik und viel Plaudern. Brö beschränkte sich auf die Grundlagen, wo Patrizia am Schluss doch etwas ausgefeiltere Ausdrucksformen beherrschte. Schliesslich hatten wir uns ja bereits zu Beginn unserer Reise auf folgende Chargen geeinigt: Kommunikation: Patrizia, Technik: Brö. Da unser Material wieder einige Reparaturen nötig hatte, war es nicht mehr als recht, dass sich Patrizia etwas mehr mit Castellano auseinander setzte.
Mit der Zeit wurden die Lehrerinnen zu Freunden, denn wir plauderten über Alles und Jedes, Gott und die Welt, das war der grosse Vorteil der Einzelabreibung. Wir gingen öfters aus zum Nachtessen mit den Leuten der Schule, was in Argentinien ziemlich wörtlich zu nehmen ist. Denn üblicherweise trafen wir uns erst um zehn Uhr, was bedeutete, dass das Essen kaum vor Mitternacht serviert wurde. So kam es dann auch, dass wir, ganz unchristlich, unsere dicken Steaks erst in frühen Morgenstunden des Karfreitags verspachtelten. Als Wiedergutmachung besuchten wir dafür die Messe am Ostersonntag. Wir hatten eine deutsche Kirche gefunden und es war schon fast etwas fremd, einem Gottesdienst in dieser Sprache beizuwohnen. Obendrein der Herr Pfarrer sehr – sagen wir mal – hart und deutsch in seinem Ausdruck war. Dafür war die musikalische Untermalung umso lieblicher. Missa Brevis, vorgetragen vom hauseigenen Kirchenchor und dazwischen ein paar geistliche Evergreens vom Volk. Wir verzichteten auf das anschliessende Apéro und gesellten uns wieder unter Argentinier. Abends suchten wir Osternester und brieten uns das grösste Entrecôte, das noch halbwegs in unsere Bratpfanne passte, entkorkten unsere beste Flasche und genossen die Freuden des Lebens.
Andere Freuden des Lebens wollten wir auf der Tanzfläche ausleben. Die geschmeidige Jennifer Lopez in Bailamos konnte nämlich sogar den Brö davon überzeugen, dass man das Schwofen vielleicht auch mal im nüchternen Zustand ausprobieren könnte. Also besuchten wir gegen Schluss unseres Aufenthalts noch zwei, drei Salsa-Lektionen. Brö fand’s etwas kompliziert und es zeigte sich, dass Patrizia deutlich mehr Latino-Blut in den Adern hat. Es war, als tanze Robocop mit Cinderella. Keine Ahnung, wieso Brö sein Füdlischwenken nach ein paar Bierchen jeweils so unwiderstehlich findet und geniesst...
Eine andere heisse Sache, das Schweissen unseres geliebten Gefährts, entpuppte sich als längerfristige Aufgabe. Zum einen mussten wir einen Schweisser finden, der es sich und dem wir es zutrauten, unseren Aluminiumrahmen zu schweissen und zum anderen mussten wir einen Veloladen finden, in dem wir einen Kurbelabzieher fanden, der zu unserem nicht gerade ausgefallenen Modell passte. Selbstredend, dass die beiden Werkstätten in ganz verschiedenen Stadtteilen lagen. Schlussendlich musste Brö viermal zum Schweissatelier radeln (inklusive Velo im Treppenhaus rauf- und runterschleppen), weil immer was nicht klappte. Entweder hatte der Schweisser aus einer Laune heraus beschlossen den Laden für ein verlängertes Wochenende dicht zu machen, das Tandem konnte mangels Werkzeug nicht zerlegt werden und so weiter. Der erste Schweissversuch schlug fehl, was wir natürlich erst nach kompletter Montage und Belastungsprobe feststellten. Also nochmals dasselbe in grün. Dieses Mal liess Brö das Tandem zusätzlich mit der Trennscheibe „vorbehandeln“ und musste das Gefährt sogar über Nacht dort lassen. Man kann sich vorstellen, dass diese etwas schlaflos wurde, zumal die Werkstatt nicht gerade in der edelsten Gegend der Stadt lag. Am nächsten Morgen war aber das Tandem noch dort und um ein halbes Kilo hingebratenes Aluminium schwerer. Brö trank mit den Büezern einen Maté auf die gelungene Arbeit und steuerte das geliebte Gefährt zurück nach Hause.
Mittlerweile fanden wir auch raus, in welchen Gegenden was zu finden war. Da gab es ganze Strassenzüge Elektronikläden, Schuhmacher, Stoffläden oder Sanitärmaterial. Das ist einerseits natürlich ganz praktisch, wenn man was sucht, das System durchschaut hat, und weiss, wo zum Beispiel die „Schneidergasse“ zu finden ist, andererseits boten alle Läden immer so ziemlich das Selbe an. Wenn sie etwas mehr über die Stadt verteilt wären, hätte dies ja durchaus auch gewisse Vorteile. Die Veloladenallee hatten wir leider nicht gefunden, so war es ein bisschen eine Sucherei, bis wir einen Steuersatz akzeptabler Qualität für unser Tandem gefunden hatten. Die anderen Reparaturen, wie Jacken thermoschweissen lassen oder Kameraobjektiv reparieren, waren erstaunlich leicht zu erledigen und während Patrizia zum x-ten Mal die Pyjamas zusammenflickte (die langsam mehr Nähte als Stoff aufweisen), nahm sich Brö dem letzten Patienten, unserem Zelt an und versuchte zu retten, was noch zu retten war.
Die letzte Woche in Buenos Aires war angebrochen und unsere Ritual Schule – Cafécito – Zeitung lesen – Spazieren gehen wurde durch allerlei letzte Besorgungen abgelöst. Wenn man’s genau nimmt, eigentlich bloss der Teil „Schule“. Wir sendeten wiedereinmal ein Paket heim und füllten es mit teilweise etwas wirren Sachen, näher ins Detail gehen wir nicht. Grammgenau wurde die Sendung optimiert, denn die Post in Argentinien ist teuer und kompliziert. Briefmarken etwa, kann man nicht in jeder x-beliebigen Poststelle kaufen und je nach Gewicht eines Paketes muss man da oder dorthin. Nachdem der Zöllner unseren Krimskrams durchwühlt hatte (war er es, der unser Sackmesser mitgehen liess oder erst sein italienischer Kollege?) wurde die Schachtel säuberlich in Leinentuch eingenäht und auf die Reise geschickt. Auch wir machten uns bald auf den Weg.
Córdoba – MendozaAltas Cumbres und weite Pampa
Um achtzehn Uhr gaben wir Carlos, unserem Portero die Wohnungsschlüssel und zwei Tüten voller Material ab, das sich in knapp drei Monaten Buenos Aires angesammelt hatte. Dann fuhren wir mit Sack und Pack mitten durch die Innenstadt zum Bahnhof Retiro. Vor ein paar Tagen hatten wir in der Zeitung gelesen, dass die Bahnlinie Buenos Aires – Córdoba nach zwölf Jahren Dornröschenschlaf just heute wiedereröffnet wurde. Ein Testzug hatte die Strecke bereits ohne grössere Pannen befahren, sodass wir davon ausgehen konnten, dass die Geleise noch mehr oder weniger lückenlos vorhanden waren. Vor ein paar Tagen konnte uns noch niemand sagen, ob und wann denn der erste Zug fahre, gestern war der Fahrkartenschalter noch immer nicht geöffnet, aber heute hatten wir die Billette im Sack, der neu bemalte Zug stand auf dem Perron bereit und die Passagiere wurden von dutzenden von Angestellten umsorgt. Unser Tandem nahm im Gepäckwagen platz, wir im „Pullman“. Ohne Pomp und Gloria fuhr der Zug langsam aus dem Bahnhof und holperte in gemächlichem Tempo nach Westen. Sie war richtig gemütlich, unsere erste Zugsfahrt seit anderthalb Jahren. Mit Speisewagen, improvisierter Minibar und zwei Schaffnern pro Waggon. Wieso um alles in der Welt überall Zugslinien stillgelegt werden und die Leute mit Bussen durch die Lande brausen, ist uns schlicht ein Rätsel. Echtes Reisegefühl kommt doch erst in einem Eisenbahnzug auf, wo einem nicht drittklassige Filme und das Dröhnen des Diesels am Einschlafen hindern, sondern wo man des Nachts vom monotonen „tata-tata tata-tata“ ins Reich der Träume geleitet wird, wo an den Fenstern statt Leitplanken, Tankstellen und Autokolonnen, Felder, Bäume, alte Werterhäuschen und geschlossene Barrieren vorbeiziehen. Die Angestellten taten alles, um uns die Reise so angenehm wie möglich zu machen. Bei der Abfahrt kühlten sie den Wagen auf etwa null Grad Celsius ab und in der Nacht lief die Heizung auf der Maximalstufe. Wir kamen uns vor, wie zwei Grillhähnchen, frisch aus dem Tiefkühler. Nicht mal die Rollos mussten wir selbst betätigen, immer war eine helfende Hand zur Stelle und sogar die Toiletten wurden praktisch stündlich gereinigt. Ja, liebe SBB, Zugsbegleiter, Kondukteure und saubere Aborte werden von den Passagieren geschätzt und es ist schon etwas merkwürdig, wenn man für diesen Luxus erst nach Südamerika reisen muss. Tunnels in Überlänge, Schnellstrecken und Flüsterrollmaterial sind halt bloss eine Seite der Medaille. Ach ja, und Diesellocks fahren auch dann noch, wenn der Strom wegen einem falsch umgelegten Schalter im Urnerland auf dem gesamten Netz ausfällt...
Entgegen aller Prophezeiungen reisebusvernarrter Argentinier kamen wir am nächsten Morgen pünktlich in Córdoba an. Keine Hektik herrschte auf dem Bahnhof aus der Jahrhundertwende und auch keine Schaulustigen waren zu sehen. War die Wiedereröffnung einer für ein Dutzend Jahre im Koma liegenden Bahnlinie eigentlich bloss für uns ein Ereignis? Vielleicht sind wir Nostalgiker. Oder Zivilisationsverweigerer. Oder vielleicht hat halt die Eisenbahn nicht überall auf der Welt denselben Stellenwert wie im Bahnland Schweiz.
Wir kurvten ein wenig durch die Stadt und es dauerte eine Weile, bis wir ein geeignetes Hotel fanden. Die Touristeninfos sind ja manchmal so was von zugeknöpft, um ja keinen zu übervorteilen, dass man mit den gelben Seiten schneller am Ziel wäre. Das altehrwürdige Victoria war neu renoviert und sehr gemütlich. Direkt an der Fussgängerzone gelegen, ein Zimmer mit Aussicht und Balkon, zum Frühstück Medialunas, Café con Leche, heisse Schoggi und die Tageszeitung. Ein bisschen über Budget, aber wer kann da schon widerstehen.
Córdoba war eine ganze Nummer ruhiger als Buenos Aires. Es hatte zwar auch hier Unmengen von Menschen auf der Strasse, aber sie verteilten sich wegen der umsichtigeren Stadtplanung deutlich besser. Um die Plaza reihten sich schöne alte Bauten und im Zentrum hatte es neben vielen Läden dutzende schöner Cafés und Beizen, vor allem auch rund um die Universität. Wir besuchten mehr als einmal einen Gottesdienst, da aus geöffneten Toren südamerikanische Klänge drangen und die Akustik in den alten Kirchen und Kathedralen den Gesang bis auf die Plätze trug. Einmal konnte sich Brö gerade noch davonschleichen als abends um neun der Organist den Hochzeitsmarsch anstimmte und sich die Reihen mit Abendroben füllten. Patrizia genoss die südamerikanische Trauungszeremonie und musste über den weissen Mercedes vor der Treppe schmunzeln, dessen Rostflecke grossflächig mit Fasadenfarbe überpinselt wurden und auf dessen Motorhaube eine Masche mit viel Liebe und noch mehr Teppichklebeband angebracht wurde. Stilecht.
Im Gegensatz zu Buenos Aires, wo das Leben während vierundzwanzig Stunden, sieben Tage in der Woche pochte, wurden hier die Trottoirs am Samstag Mittag für den Rest des Wochenendes hochgeklappt. Der Sonntag gehörte der Familie und das war ja auch gut so. Hatten die Läden geschlossen, schuf dies Platz für unzählige Strassenhändler, die ihre „Artesanias“ auf Tüchern ausbreiteten. Hier fand man alles, was des Künstlers Hände oder die mehr oder weniger geschickten Pranken von Hobbybastlern hergaben.
Unseren Sonntagsauflug machten wir in die Sierras. Mit dem Bus fuhren wir aus der schlafenden Stadt und raus in die Berge. Vorbei an einem ruhigen See mit Promenade, Parkbänken und Verkaufsständen, erklommen wir die Hügel, bis wir nach La Falda kamen, einem Ort mit vielen Strassencafés und Shops in denen Leckereien aus der Region angepriesen wurden. Die Touristensaison war wohl vorüber, denn all die vielen Tischchen waren leider leer und die Kaffeemaschine gar nicht erst mal eingeschaltet. Wir nahmen den nächsten Bus nach La Cumbre, wo das Leben nochmals eine Spur geruhsamer seinen Lauf nahm. Der verlassene Bahnhof, die grasenden Pferde und die leeren Gassen gaben dem Ort einen menschenvergessenen Charme. Wir genehmigten uns in einem schönen Restaurant ein Mittagessen und nach und nach gesellten sich einige andere Sonntagsausflügler hinzu. Gegen Nachmittag setzten wir uns in den Bus und fuhren zurück nach Córdoba.
Die Freude über einen baldigen Radelstart wurde uns etwas getrübt durch die Macken unseres Laptops. Es begannen sich plötzlich Daten zu verflüchtigen und das System lief bloss noch im Schneckentempo. Wir wollen nicht ins Detail gehen, aber es war kein gutes Zeichen. Vor allem Brö stimmte das gar nicht glücklich. Es musste eine neue Festplatte her, doch in einer Millionenstadt wie Córdoba, wo die Elite des Landes ausgebildet wird, liess sich eine solche natürlich nicht auftreiben. Zudem hatten wir ja extra eine schwindelerregend teure internationale Garantie für unser Gerät abgeschlossen. Nach einigen Recherchen fanden wir heraus, dass Acer entgegen den Infos auf ihrer Homepage eine Lizenzservicestelle in Argentinien hatte. In Buenos Aires natürlich. Nach einer Woche (!), unendlichen Telefonaten und bösen E-Mails waren besagte Computerfabrikanten davon überzeugt, dass sich eine internationale Garantie sogar auf Lateinamerika erstreckt und eine Laufzeit von drei Jahren nicht nach einem knappen Jahr bereits abgelaufen ist. Um die Lieferung der Festplatte auszulösen, liessen wir das Gerät von einem Vertragsunterservicehändler vor Ort überprüfen, mit der Diagnose, die Festplatte sei defekt. Ahaaa!
Während Brö sich mit seinem Steckenpferd auseinander setzte, liess Patrizia unsere halbe Bekleidung ausbessern und abändern. Bei der Abuelita (Grossmütterchen), einer alten Dame mit Nähmaschine und viel Zeit zum Plaudern, wurden unsere ausgebeulten Klamotten aufgefrischt. Zumindest aus Distanz betrachtet gaben sie nun wieder etwas mehr her. Nach anderthalb Jahren immer im selben multifunktionalen, technisch ausgereiften Outfit aus Hightech-Fasern wünschten wir uns nichts sehnlicher als ein komunes Paar Jeans und ein Baumwoll-T-Shirt. Leider liessen unsere Packtaschen eine erweiterte Garderobe nicht zu, so mussten wir halt aus unseren Sachen das Beste machen.
So, nachdem nun alles erledigt und in die Wege geleitet war, konnten wir ruhigen Gewissens ein bisschen Velölen gehen, bis das Computer-Ersatzteil in Buenos Aires ankommen würde. Es waren, abgesehen von ein paar kurzen Touren in Buenos Aires, die allerdings wenig mit Genussradeln zu tun hatten, unsere ersten Kilometer in Argentinien. Auf erstaunlich direktem Weg fuhren wir aus Córdoba heraus und fanden uns rasch auf der Autopista. An der Zahlstelle verwiesen uns die Carabineros auf eine Nebenstrasse, die ebenfalls in die gewünschte Richtung führen sollte. Auch gut, so mussten wir uns nicht vor den Brummis in Acht nehmen. Sie wiesen uns an, die Gegenfahrbahnen zu überqueren und auf dem Pannenstreifen zur Ausfahrt zu radeln. Die korrekte Ausfahrt zu nehmen und über die Überführung zu fahren, sei viel zu mühsam. Allzu genau nehmen die’s hier nicht mit den Gesetzen. Häufig kriegten wir, als wir die Polizei nach dem Weg fragten, Wegbeschreibungen im Stil von: „geradeaus, dann rechts in die Einbahnstrasse einbiegen“ oder „da beim Fahrverbot durch, das ist ’ne Abkürzung“. Das sind eben noch echte Freunde und Helfer!
Villa Carlos Paz, an der Mündung eines Sees gelegen, erreichten wir nach gut vierzig an sich lockeren Kilometern, die uns allerdings zeitweise recht streng vorkamen. Auf der letzten Abfahrt bemerkten wir mit Freuden, dass das Tandem selbst bei siebzig Stundenkilometern nicht mehr zu flattern begann. Der neue Steuersatz hatte sich also gelohnt. Die Touristeninformation (wir möchten sie an dieser Stelle rehabilitieren, denn in den kleineren Ortschaften waren sie oft recht brauchbar und hilfsbereit) beglückte uns mit guten Hoteltipps und wir nisteten uns in einem Haus im Zentrum ein. Wir hauten uns kurz unter die Dusche und spazierten los. Im erstbesten Strassencafé gab’s ein Zvieri und beim anschliessenden Stadtrundgang standen wir genau rechtzeitig zur vollen Stunde vor der berühmten Kuckucksuhr, vor der sich bereits eine Schar Touristen mit entsicherten Fotoapparaten versammelt hatte. Das Spektakel waren eher die Touristen als der mechanische Vogel. Aber ein nettes Städtchen war’s allemal und es freute uns, dass wir beizeiten hier eintrafen und etwas davon hatten.
Wir folgten dem Lauf eines Flusses, bis sich die Strasse unweigerlich Richtung Berge davonschlängelte. Steigungen bis dreizehn Prozent trieben uns den Schweiss aus allen Poren und einmal mussten wir sogar aus dem Sattel steigen, um nicht ganz stehen zu bleiben. Was da für Kräfte auf Kette und Zahnkränze wirken, wagen wir uns gar nicht auszumalen, wenn wir uns mit dem ganzen Gewicht in die Pedale stemmen. Als wir so eine Art Hochebene erreichten und vor uns ein Tal, das sich zwischen hohe Gebirgszüge einschnitt und die Sicht in weite Ferne freigab erblickten, freuten wir uns insgeheim, den höchsten Punkt erreicht zu haben. Denkste. Die Strassenbauingenieure machten sich einen Spass daraus, die Strasse über den höchsten Punkt der „Altas Cumbres“ zu jagen und uns noch ein paar Höhenmeter zusätzlich unterzujubeln. Die Kletterei ging weiter. Die Wolken zogen sich zusammen und es fing an zu nieseln. Wir hatten eigentlich genug und fragten bei einer Schule mitten im Nirgendwo, ob wir bei ihnen zelten können. Als wir die vielen Schüler erblickten waren wir uns nicht mehr so sicher, ob wir hier wirklich unser Nachtlager aufbauen wollten und waren um den Tipp, in dreihundert Meter käme ein „Parador“, eigentlich froh. Dort wurden wir von Fabian, dem Besitzer des Restaurants und Gründer des nahen Condor-Nationalparks eingeladen, drinnen auf dem Fussboden zu übernachten und brauchten somit nicht mal unser Stoffhaus aufzustellen. Wir plauderten mit ihm bis spät in die Nacht und wurden reichlich verpflegt. Der Blick über die Hügel, hinunter bis nach Córdoba und der Sonnenaufgang am nächsten Morgen entschädigten uns für die Mühen des Aufstiegs und gestärkt nahmen wir die letzten gut siebenhundert Höhenmeter in Angriff, bis wir den Pass auf zweitausendvierhundert Metern erreichten. Von da an ging es bloss noch bergab. Etwa fünfzig Kilometer war es immer genau so steil, dass man nicht zu bremsen, aber auch nicht zu treten brauchte. Welch ein Genuss! Natürlich mussten wir ein paar Mal anhalten, um die schöne Landschaft der Sierras de Córdoba bildlich festzuhalten oder um einfach ein bisschen in die Ferne zu schauen.
Es herrschte Siesta, als wir in das kleine Städtchen am Fusse der Sierras einfuhren. Patrizia erledigte die Radelwäsche, Brö klotterte was am Tandem, wir sassen im Patio an der Sonne, schrieben Tagebuch und knabberten was. Langsam schienen wir den Vagabunden-Rhythmus wieder gefunden zu haben. Als es dunkel wurde, gingen wir Essen und verzogen uns zeitig ins Bett. Am nächsten Morgen, als wir am Strassenrand unser Frühstück verdrückten, gesellte sich Ruben mit seinem Kaffeewägeli zu uns. Er sei momentan daran, einen Anhänger ziemlich genau nach demselben Muster wie unserem zu bauen, um damit endlich seinen Traum, Lateinamerika zu bereisen, zu erfüllen. Diese oder ähnliche Träume hörten wir häufig und diesem zweiundfünfzigjährigen Mann, der sich seinen Lebensunterhalt als fliegender Kaffeehändler verdient, trauten wir sogar zu, ihn sich zu verwirklichen. Es gibt Gründe zuhauf, die einem davon abhalten, sich in ein derartiges Wagnis zu stürzen und wir können wirklich nur jedem empfehlen, die Hürden zu nehmen und loszuziehen. Wir spülten den spendierten Kaffee runter ohne eine Miene zu verziehen und machten uns auf den Weg. Es ging durch ein abwechslungsreiches, weites Tal, das uns auf sanftem Weg nach unten geleitete. Wir passierten kleine Dörfer, und deckten uns mit mit Kräutern gewürztem Geissenkäse und ofenfrischem Brot als Marschverpflegung ein. Es war richtig gemütlich. Auf dem Weg wurden wir von Fredy Niderhauser, dessen Eltern nach Argentinien auswanderten auf Schweizerdeutsch begrüsst und nahmen seine Einladung, ihn in seinem Bergdörfchen zu besuchen, angesichts der falschen Himmelsrichtung, der zu erwartenden Steigung und da sie etwas gar durch die Blume war, nicht an. Stattdessen fuhren wir hinunter nach Villa Dolores.
Als wir im Zentrum kurz anhielten, wurden wir von Inés angesprochen. Sie bestaunte unser Gefährt und lud uns ein, am Nachmittag bei ihr im Radiostudio vorbeizuschauen, um ein kurzes Interview zu geben. Wieso eigentlich nicht? Nach einer kurzen Stadtbesichtigung, die sich allerdings wegen zahlreicher Plaudereinheiten mit interessierten Passanten in die Länge zog, stiegen wir an der Plaza, genauer gesagt im Hotel Plaza (das tönt jetzt viel nobler als es war) ab. So viel Aufmerksamkeit wurde uns seit Langem nicht mehr zuteil und wir kamen in den folgenden zwei Tagen kaum zur Ruhe. Noch bevor wir im Hotel waren, stellte sich der Bürgermeister persönlich bei uns vor, begrüsste uns und bot uns alle möglichen Dienste an. Der Eindruck, dass es sich hier um ein hundertseelen Dorf handelte, täuscht. Villa Dolores hatte gut halb so viele Einwohner wie Luzern, und alle schienen bloss auf uns gewartet zu haben.
Um fünf Uhr klopften wir im Radiostudio an und nach einer kurzen Aufwärmrunde gingen wir live auf Sendung. Wir (natürlich vor allem Patrizia) erzählten von unserer Reise, beantworteten offensichtliche und weniger offensichtliche Fragen und schwärmten am Schluss ein bisschen von unserem Gastland. Wir metzgeten uns recht gut auf Castellano und mitten in der Sendung stürmte ein Herr ins Studio, der so begeistert von unserer Reise war, dass wir uns ab diesem Moment für zwei Tage unter seinen Fittichen fanden. Wir verabschiedeten uns vom Radioteam und Emilio brachte und sozusagen als Überraschung mit nach Hause zu seiner Frau und den Kindern. Von da an wurden wir drei Mal täglich in und um Villa Dolores zum Essen ausgeführt und uns wurden Sehenswürdigkeiten, Kartoffelfelder und Bewässerungskanäle gezeigt. Am Sonntag um zehn Uhr morgens hätte eigentlich eine Parade der Gauchos bei der Kirche durchreiten sollen, aber die Viehhirten sind wohl auch nicht mehr das, was sie mal waren, denn wegen dem eisigen Wind, der aus der Antarktis über die Lande fegte, wurde das Defilee kurzerhand abgesagt. Nur ein paar ältere Semester, die wohl kein Mobiltelefon besassen, trabten mit ihren geschmückten Rossen etwas verloren um die Plaza. Es fanden sich zum Schluss aber doch noch genügend Reiter, um die Prozession vor der Kirche zu beginnen, wir mitten drin unter der versammelten Stadtprominenz. Nach dem ausgiebigen Mittagessen auf dem Lande, sattelten wir auf die ausdrückliche Einladung des örtlichen Veloklubs unser Tandem und fuhren auf die neu erstellte Strasse, auf der ein nationales Radrennen veranstaltet wurde. Der Publikumsaufmarsch war wegen der garstigen Verhältnisse eher gering aber wir ernteten erneut grosse Aufmerksamkeit. Wir wurden per Lautsprecherdurchsage vorgestellt und begrüsst, standen während Stunden Red und Antwort, läuteten die Rundenglocke und amtierten als Preisverteiler. Puh – das Prominentendasein ist vielleicht anstrengend. Am Schluss wurden wir noch vom Fernsehreporter interviewt und müssen wohl einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Wie wir nämlich später in Buenos Aires erfuhren, wurde das Interview landesweit ausgestrahlt, denn ein sportbegeisterter Taxifahrer erkannte uns als die zwei Tandemfahrer auf Weltreise, als wir in der Millionenstadt inkognito in seinen Wagen einstiegen. Die Printmedien, die uns mitten in der Nacht für einen Bericht in der Zeitung befragen wollten, wurden vom Concierge kurzerhand abgefertigt. Also ehrlich, etwas Privatsphäre brauchen auch wir... Am nächsten Abend, als ein Sohn der Familie echte Schweizer Jasskarten mitbrachte, hatten wir die Möglichkeit auch unsererseits etwas zum kulturellen Austausch beizusteuern und unterrichteten unsere Gastgeber in der hohen Kunst des „Tschau Sepp“. Es war ein vergnüglicher letzter Abend. Wer hätte gedacht, dass wir ein so aufregendes Wochenende im Provinzstädtchen Villa Dolores verbringen würden.
Die Kältewelle war noch nicht ganz verebbt und kurz nachdem wir das Städtchen verlassen hatten, packten wir eine zusätzliche Schicht Kleider aus unseren Taschen. Es war gerade mal fünf Grad Celsius, doch als sich die Sonne langsam zeigte, wurde es zu einer angenehmen Herbsttour. Nach und nach wichen die bebauten Felder trockener Dornenvegetation. Das Farbspektrum reduzierte sich auf Brauntöne und die fetten Kühe wurden von knorrigen Ziegen abgelöst. Dies sollte sich erst nach vierhundert Kilometern wieder ändern und die Landschaft versetzte uns ein knappes Jahr zurück, als wir in Afrika die Kalahari durchquerten. Unsere Tagespensen waren um die hundert Kilometer, denn wir brauchten uns nicht danach zu richten, dass wir irgendeine Ortschaft erreichten, da es schlicht keine gab. Wir genossen es, in unserem Rhythmus durch diese weite, offene Pampa zu radeln und für ein paar Tage nichts als Büsche, Kakteen, Vögel und ab zu ein paar andere Tieren zu sehen. Der Verkehr war sehr spärlich und nur selten sahen wir Menschen, die hier in dieser Einsamkeit lebten. Wir errichteten unsere Nachtlager jeweils etwas abseits der Strasse, zirkelten unser Gefährt um die Dornenbüsche durch den Sand und kochten uns im Abendlicht das Nachtessen. Die Nächte waren still und kalt. Die langen Tage gehörten der Vergangenheit an und die Sonne liess sich erst nach acht Uhr morgens wieder blicken. Nachdem wir unser Tandem wieder beladen und zur Strasse geschoben hatten, galt es jeweils mit der Zange die Stacheln aus den Pneus zu grübeln und zu hoffen, dass die kevlarverstärkten Reifen und die extradicken Schläuche uns nach wie vor vor Platten bewahrten. Das taten sie und wir konnten wohlgelaunt in einen neuen Radeltag starten. Auf der Hälfte der Strecke passierten wir Salzpfannen und kleine Lagunen, in denen sich Flamingos tummelten und nach vier Tagen schlängelte sich die Strasse um vereinzelte Sanddünen. Wir fuhren an zahlreichen Pilgerstationen vorbei, da sich um „Gaucho Gil“ und die „Difunta Correa“ in der Gegend viele Legenden ranken und Letztere sogar zur lokalen Heiligkeit aufstieg. Die Stätten waren überhäuft mit Hinterlassenschaften der Durchreisenden und die „Difunta Correa“ wurde eifrig mit Wasser in Petflaschen versorgt.
Die letzte Etappe durch die trockene Pampa erkämpften wir uns im Gegenwind und auf den letzten zwanzig Kilometern wichen die Dornenbüsche mehr und mehr Weinreben – ein sicheres Zeichen, dass wir uns langsam unserem Ziel Mendoza näherten. Erstmals erhaschten wir einen Blick auf die verschneite Andenkordillere, deren Gipfel im Abendlicht glitzerten. Es sah ziemlich kalt aus da oben. Wir sicherten uns das erstbeste und einzige Zimmer in dem kleinen Dörfchen, duschten uns das Salz der vergangen Tage von der Haut und gingen auswärts Essen. Hausgemachte Pasta mit einer guten Flasche Wein. Das hatten wir uns verdient! Die letzten sechzig Kilometer nach Mendoza nahmen wir’s gemütlich, frühstückten unterwegs ausgiebig und wie wir die „Ruta Cuarenta“ erreichten, gab es ein Stelldichein der versammelten Schwertransporter des Landes, das sich gegen die Provinzhauptstadt am Fusse der Anden schleppte.
Als wir den Gürtel aus Vororten, Einfallstrassen, Verkehr und Chaos überwunden hatten und in den Stadtkern vordrangen, war uns Mendoza sehr sympathisch. Breite Strassen und vor allem breite Trottoirs, die erst noch von Wassergräben, welche die ganze Stadt durchzogen, abgetrennt waren. Wir fuhren ein wenig herum, bis wir ein geeignetes Hostal fanden, einmal mehr an perfekter Lage. Nach den üblichen Verrichtungen schlenderten wir durch die leeren Gassen, denn die Siesta wurde auch hier peinlichst genau eingehalten. Es war richtig schön Herbst und wir stapften durch das frische Herbstlaub, das von den vielen Bäumen entlang der Trottoirs herabfiel. In den zahlreichen Parks in der Innenstadt oder in der Fussgängerzone liess es sich besonders schön flanieren und im riesigen und zauberhaft angelegten Park am Stadtrand konnten man halbe Wanderungen unternehmen. Sogar Trolleys gab es hier und wir konnten nicht widerstehen, mit den klapprigen Bussen ein paar Runden zu drehen. Einfach so aus Spass.
Am Sonntag gingen wir reiten. Am Stadtrand wurden die Pferde im typischen Gauchostil gesattelt und es war richtig bequem auf mehreren Lagen aus Wolldecken und Schafsfellen. Auch der Reitstil hatte nicht viel gemein mit der aristokratischen Art, die wir in Afrika erlernt hatten. Es war eher so, als sässe man auf einer Harley Davidson, man konnte die Füsse nach vorne strecken und die Zügel locker in einer Hand halten. Die Kommandos beschränkten sich auf ein kurzes Schnalzen, das gelegentlich mit einem Zwick auf den Hintern unterstützt werden musste. Die Landschaft war fantastisch. Wir zottelten durch die Vor-Cordillera und die Pferde trotteten trittsicher hügelauf und –ab. Nach mehreren Stunden machten wir in einer kleinen Oase halt. Hier hatten wir einen kurzen Einblick ins echte Gaucho-Leben: ein einfaches Haus, ein Stall, dutzende Hunde, wortkarge Leute. Während dem einen Pferd ein Huf ausgewechselt wurde, tranken wir Maté und plauderten ein bisschen. Dann ging es Richtung heimwärts – man merkte es den Pferden an. Beim Galoppieren waren sie auf den Geschmack gekommen und liessen sich kaum mehr bremsen. Patrizias „Pampita“ war etwas kurzbeinig und musste schon den ganzen Weg immer wieder hinterhertraben, wenn die anderen noch locker trotteten. So war es für beide etwas anstrengender und zumindest Patrizia hatte ziemlichen Muskelkater am nächsten Tag. Dass es auch Pampita nicht so ganz gefiel, äusserte sich darin, dass sie ihre Reiterin kurzerhand absetzte, und weigerte weiterzugehen. Nach einem kurzen Rückenkraulen einigten sich die beiden Damen, den Rest des Weges doch noch gemeinsam unter die Hufe zu nehmen und Patrizia hielt mit dem Vorschlag, ihr Pferdchen zu Salami zu verarbeiten, zurück. In der „Quinta“ (Wochenendhäuschen) eines Freundes unserer Gauchos gab es Asado (typische argentinische Grillade) und wir wurden von ihren Freundinnen, Frauen, den Kindern und heissen Empanadas begrüsst. Das Fleisch war auch bald soweit und der Wein stand auf dem Tisch. Es wurde ein echt gemütlicher Sonntagsausflug.
Selbstverständlich liessen wir uns eine Tour zu Mendozas bekannten Bodegas nicht entgehen. Zur Vorbereitung assen wir am Mittag ein üppiges Lomito-Sandwich und wurden später mit einem grossen Bus abgeholt. Die überaus dürre Dame mit einer leicht angeheiterten Erzählstimme, die Gutes für einen fröhlichen Nachmittag verheissen liess, konnte uns mit ihrer Art nicht auf Anhieb gewinnen. Nun gut, wir waren ja nicht ihretwegen gekommen. Der Bus lud uns in einer grossen Weinkellerei aus und wir wurden an riesigen Tanks, grossen Fässern und hochmodernen Abfüllanlagen vorbeigeführt. Es roch ansprechend nach Rebensaft und wir freuten uns schon auf eine ausgiebige Weinprobe. Ernüchterung stellte sich bald ein, denn die „Degustation“ beschränkte sich auf eine homöopathische Dosis Rot- oder (!) Weissweins. Man musste sich beeilen, damit der Wein nicht verdunstet war, bevor das Glas den Mund erreichte. Dank unseres unumstösslichen Charmes ergatterten wir uns auch noch einen Kaffeelöffel voll Weissweins, bevor wir in den Verkaufsshop gelotst wurden. Dieser war kaum professioneller geführt, denn Rebensorte und Jahrgang schienen bloss Nebensächlichkeiten. Die Präsentation des Sortiments beschränkte sich auf die Preisschilder. „Wollen Sie eine Flasche zu fünf oder sieben Pesos? Derjenige für sieben ist besser.“ So läuft das hier. Bei der zweiten Bodega ging es etwas familiärer zu, der Rundgang durch die verlassenen Hallen wurde zugunsten des kleinen „Museums“ (in dem ein rostiger Pflug und ein altes Wagenrad zu bestaunen waren) etwas kurz gehalten. Die Degustation war recht amüsant präsentiert und man brauchte sich nicht mal zwischen Rot- oder Weisswein zu entscheiden, man kriegte sogar beide und wenn man das Glas leerte, bevor die junge Dame mit ihren Erklärungen begonnen hatte, wurde einem grosszügigerweise nochmals ein Schluck nachgefüllt. Um die Tour künstlich zu verlängern, fuhren wir raus, um ein Stauseeli zu bestaunen, das neben einer sonntagnachmittäglichen Bachstauung im Rümlig (im Eigental im schönen Kanton Luzern, Anm. d. Red.) geradezu kümmerlich aussah. Der Bus wendete auf dem Kiesplatz, ohne dass die Passagiere hätten aussteigen und dieses grandiose Bauwerk aus ein paar Kubikmetern Beton bewundern können. Wir sind schon verwöhnt. Aber das ist ja immer so, bei solchen Touren. Mindestens ein tolles Bauwerk und eine Kirche (dieses Mal immerhin einer Winzerheiligkeit gewidmet) stehen auf dem Programm, da kann man sich nicht herauswinden. Zuhause kauften wir uns eine gute Flasche Wein, Käse, Salami und frisches Brot und beendeten die Tour auf unsere Art.
Als das Computer-Ersatzteil endlich in Buenos Aires eingetroffen war und wir die Bestätigung hatten, dass es auch vom richtigen Typ war, machten wir uns ebenfalls und abermals auf den Weg in die Hauptstadt. Sie lag ja bloss gut tausend Kilometer entfernt. Die Durchlaufzeit von zweiundsiebzig Stunden um die Festplatte auszutauschen, konnten wir innert Kürze auf zwölf Stunden runterhandeln und Brö machte sich daran, das System neu aufzusetzen und die Daten von der externen Festplatte, die wir extra für diesen Unfall kaufen mussten, rüberzuspielen. Von jetzt an waren wir gut schweizerisch mit doppeltem Backup unterwegs. Und das Wichtigste: Wir hatten kein einziges Foto verloren (jedenfalls nicht, dass wir es bemerkt hätten ...). Wir nutzten die Gelegenheit, die kulinarischen Köstlichkeiten, die die Stadt zu bieten hatte, im Schnellverfahren zu geniessen und liessen uns nebenbei noch ein paar Lederjacken massscheidern, da wir dies in den vergangenen Besuchen komplett vergessen hatten. Ach ja, beim Zahnarzt schauten wir auch noch kurz vorbei, wenn wir schon hier waren. Es war mal wieder an der Zeit, sich die Beisserchen begutachten zu lassen. Die Coca-Cola-Phase in Afrika schien ihren Tribut gezollt zu haben, denn der Herr Doktor fand tatsächlich was zu flicken und besserte unsere Zähne mit Lasertechnik aus. Die sind ja moderner als unsere Odontologen zuhause – und wesentlich günstiger... Dann sassen wir auch bereits wieder im Bus nach Mendoza.
Mendoza (Argentinien) – Santiago (Chile)Wettrennen mit den Camiones
Dass wir nicht gleich losfuhren, hatte verschiedene Gründe. Ausnahmsweise lag’s aber nicht daran, dass wir uns nicht losreissen konnten (obwohl Mendoza geradezu zu einem längeren Aufenthalt einlud), sondern dass der Pass über die Anden wegen starken Schneefällen geschlossen war. Kaum vorstellbar, denn hier war der Himmel meist stahlblau und von Wintereinbruch nichts zu spüren. Das soll nicht heissen, dass die Temperaturen frühlingshaft waren, nein, um die Heizung im Zimmer waren wir froh. Vor allem deshalb, weil sich Patrizia eine Grippe zuzog. Eigentlich ein guter Zeitpunkt (wenn man von einem „guten Zeitpunkt“ für eine Erkrankung sprechen kann). Wir waren blockiert, hatten ein schön warmes und geräumiges Zimmer und somit keinen Grund mehr, nicht etwas an unseren Reiseberichten zu arbeiten. Also hauten wir kräftig in die Tasten und machten uns daran, aus tausenden von Pinguinfotos eine kleine Auswahl für’s Antarktis-Album zusammenzustellen. Wir waren wiedermal am Punkt angelangt, wo wir uns ernsthaft fragten, ob es sich lohnt, so viel Zeit in unsere Homepage zu investieren oder ob wir das Unterfangen abbrechen und die gewonnene Zeit anderweitig investieren sollten. Zeit ist bis anhin nicht unbedingt der limitierende Faktor unserer Reise, aber es gibt ja noch so viel zu sehen auf der Welt und ehrlich, diese Internetgeschichte gibt recht viel zu tun. Wir rissen uns am Riemen uns stürzten uns in die Arbeit. Patrizia vom Bett aus und Brö am Tischchen, entweder im Zimmer oder in einem gemütlichen Café.
Der Pass wurde wieder für den Verkehr freigegeben, Patrizia fühlte sich besser und der Antarktis-Bericht war sozusagen im Kasten. Nix wie los, bevor der nächste „Viento blanco“ die Verbindung nach Chile erneut mit Schnee zuhäuft. Wir fuhren langsam aus Mendoza raus und wurden von zwei Carabineros darauf aufmerksam gemacht, dass in dieser Provinz Helmpflicht herrsche. Nicht, dass wir je einen einheimischen Velofahrer, ausser den Polizisten auf Fahrrädern, die hier neben der berittenen Truppe ihre Runden zog, mit Sicherheitskopfbedeckung gesehen hätten. Keine Angst, wir verlieren uns jetzt nicht in einer ausgehenden Analyse über’s Helmtragen, aber diese Frage hat uns bis dato einiges an Kopfzerbrechen bereitet. Wir fahren Oben ohne – bis jetzt Gott sei Dank ohne „Kopfzerbrechen“.
Die Avenida San Martin führte uns auf direktem Weg aus der Stadt und langsam wichen die schattenspendenden Alleen wieder der trockenen Landschaft am Fuss der Anden. Nach einigen Kilometern trafen wir auf die Panamericana, die uns nach Chile bringen sollte, und hielten nun direkt auf die verschneite Andenkette zu. Wo soll es hier ein Durchkommen geben? Die Steigung nahm zu, und neben ebenfalls keuchenden Lastwagen überwanden wir die ersten tausend Höhenmeter. Die nächste Etappe erwartete uns bereits zu Beginn mit Gegenwind, und nicht zu knapp. Zum Glück war die Landschaft so unglaublich schön, dass es uns nichts ausmachte, im Schneckentempo an den steilen und in allen Farben leuchtenden Felsen vorbeizukriechen. Als uns eine Böe von der Strasse bugsierte, nutzten wir die Gelegenheit, um im Windschatten unseres Tandems zu picknicken. In den zum Glück meistens kurzen Tunnels war uns alles andere als wohl, denn sie waren eng, stockfinster, und sie mit angemessener Geschwindigkeit zu durchfahren, brauchte allerhand Puste. Wir schafften es, weder in einem der zahlreichen Schlaglöcher zu landen, noch von einem vorbeirauschenden Camion an der Tunnelwand zerstrichen zu werden. Allerdings müssen wir den Lastwagenfahrern wirklich wiedermal ein Kränzchen winden, denn die angenehmsten Genossen auf den Strassen Argentiniens und Chiles waren mit den schwersten Fahrzeugen unterwegs. Im Gegensatz zu auffallend vielen Buschauffeuren, die entweder die Breite ihrer Fahrzeuge unterschätzen oder ganz einfach Spass daran haben, wie von einer Wespe gestochen zwei Zentimeter neben Velofahrern vorbeizurasen. Diese schlechte Angewohnheit von einigen schwarzen Schafen hielt uns natürlich nicht davon ab, immer schön brav zu winken – wer weiss, wann wir mal wieder unseren Göppel im Bauch eines Busses verstauen müssen... Die Lastwagenfahrer auf jeden Fall waren immer sehr nett, bremsten sogar ab und krochen hinter uns her, wenn sie es für besser hielten, nicht zu überholen, anstatt bloss auf’s Horn zu treten und uns von der Strasse zu drängen. Im Verlaufe des Aufstiegs sollten wir noch ausgiebig Gelegenheit kriegen, uns die Strasse mit den Brummis zu teilen und uns ein Wettrennen der Schwertransporter zu liefern, denn bereits zehn Kilometer vor Uspallata, einem kleinen Ort auf einer schönen Hochebene gelegen, stauten sich die Lastwagen und säumten die Strasse bis zum Ortseingang. Unsere Befürchtung wurde von einem kurzen Besuch bei den Carabineros bestätigt: Frau Holle hatte wieder zugeschlagen.
Wir nisteten uns im Hotel Viena ein, das in den folgenden Tagen zur öffentlichen Truckerdusche umfunktioniert wurde. Die armen Mannen standen schon etliche Tage hier und einige hatten wohl dringend ein Stück Seife nötig (hauptsächlich die vermutlich, die in Begleitung ihrer Frauen unterwegs waren und von ihnen zum Säuberungsakt genötigt wurden...). Und weil die Stadt kurzerhand zur Truckerhochburg mutierte, hauten auch wir zwei uns jeweils im Spunten vis-à-vis die Bäuche mit Lastwagenfahrerportionen voll. Die besten und grössten Milanesa à la Napolitana (panierte Schnitzel in Leintuchgrösse, belegt mit Schinken, Käse und Tomatensauce) gibt es nämlich in Uspallata – uns läuft jetzt noch das Wasser im Munde zusammen, wenn wir daran denken. Zusammen mit einem Bier und den anderen Gästen schauten wir uns im Fernesehen einen Talentschuppen an, der vom Publikum im Lokal eifrig kommentiert wurde. Es war echt lustig. Es dauert nicht lange, und wir fühlen uns irgendwo zuhause.
Wir nutzten die erneute Zwangspause für einen weiteren Ausritt und mit Gaucho Jorge erkundeten wir auf dem Rücken unserer gemütlichen Gäule die Umgebung. Auf den Hügeln wehte ein kühler Wind und wir erkannten in der Ferne, dass das Tal, durch welches die Strasse über den Pass führte, mit dunklen Wolken verhangen war. Uspallata aber hatte ein „Mikroklima“ (so was wie der Lieblingsausdruck hier, der bedeutet, dass das Wetter am Ort besser ist, als in der Umgebung – umgekehrt scheint er nicht zu existieren) und so wärmte uns die Sonne. Jorge grillierte uns einen beachtlichen Braten und wir kamen uns vor, wie Cowboys, ohne Kühe zwar aber mit grasenden Rossen um die Feuerstelle. Die Kunst, aus zähem Fleisch eine Delikatesse zu machen, liegt scheinbar in der unglaublichen Menge Salz, mit der das Stück eingerieben wird und der zaghaften Glut, über der der Happen langsam und behutsam, sozusagen in Niedergarmethode, gegrillt wird. Dazu eine Flasche Wein – es gibt nichts besseres. Mikroklima hin oder her, die Wolken zogen sich langsam zusammen und wir ritten zurück. Im Café Tibet (Seven Years in Tibet wurde hier und nicht am Originalschauplatz gedreht – da hatten die Chinesen wohl was dagegen) wärmten wir uns bei einer heissen Schoggi auf. Abklärungen über den Zustand der Strasse ergaben nichts Neues.
Tags darauf wurde der Pass am Nachmittag zumindest für den Personenverkehr freigegeben. Die Strasse sei aber noch immer mit Schnee und einer dicken Eisschicht bedeckt. Also warteten wir noch einen Tag – es war sowieso zu spät zum Losfahren. Die Carabineros meinten bei einer erneuten Erkundigung am nächsten Morgen, zumindest der untere Teil der Strecke sei problemlos befahrbar, vom Wind abgesehen, und so machten wir uns auf die Socken. Wir teilten uns die Strasse mit hunderten von losgelassenen Lastwagen, und wurden von den Truckern, die uns bald alle kannten, freundlich angehupt. Der Wind erwies sich als unser Feind und wir erreichten auf den siebzig Kilometern und zwölfhundert Höhenmetern einen Schnitt von gerade mal elf Stundenkilometern. Teilweise standen wir vor der unsichtbaren Wand fast still. Angesichts der wiederum spektakulären Bergwelt vermochte uns dies das Radelerlebnis erneut nicht zu trüben, wir fragten uns aber doch, ob sich dieser Pass irgendwie gegen uns verschworen hatte. Trotz der Anstrengung, mehreren Schichten Kleider, Mütze und Handschuhen kamen wir nicht ins Schwitzen. Es war eisig. Wir waren ziemlich auf den Felgen, als wir Penitentes erreichten und im Hostal Unterschlupf fanden. Zuvor allerdings legte Brö den Karren noch kurz sauber flach, als er die Abkürzung über einen vereisten Pfad ansteuerte. Patrizia hatte’s ja gesagt... Der Zaunpfosten streifte zum Glück knapp am Kopf vorbei – soviel zum Thema Helmtragen.
Im Refugio prasselte ein Feuer und Marcos, der Hüttenwart, backte zum Nachtessen leckere Pizzas, die Kanadierin, die sich auch noch hier hin verirrt hatte, besorgte von irgendwoher eine tiefgefrorene Flasche Roten und wir plauderten bis spät in die Nacht bis wir todmüde in die kalten Federn krochen.
Wir liessen uns Zeit mit Aufstehen, denn die Sonne liess sich ebenfalls Zeit damit. Selbst, als sie endlich über die hohen Gipfel kroch und wir uns auf den Weg machten, lag die Temperatur noch etliche Grade unter dem Gefrierpunkt. Ansonsten sah es aber nach einem perfekten Tag für eine Andenüberquerung aus. Patrizia fuhr im Bankräuberlook – kein Quadratmillimeter Haut offenbarte sie dem eisigen Wind. Bei der berühmten natürlichen Brücke über den Rio Mendoza, der „Puente del Inca“, nahmen wir uns reichlich Zeit um dieses Naturwunder und die Überreste der an prominenter Stelle errichteten Thermen zu bestaunen. So auch beim Aussichtspunkt auf den Aconcagua, Amerikas höchstem Gipfel, bei welchem sich dauernd irgendwelche ungeschickten und nicht sehr fotogenen Touristen ins Bild drängten. Als sich die Ausflügler endlich verflüchtigt hatten, war der Gipfel von Wolken umgeben. Mhhh! Nun machten wir uns endlich auf den letzten Abschnitt bis zur Grenze. Die Strecke zog noch einmal alle Register der Mühseligkeiten: Die Steigung zog an, der Gegenwind frischte auf, die Strasse wurde kurvig und eng. Nach etlichen Kilometern im Kriechgang wurde das Tal allmählich wieder weiter und flacher. Bei dreitausendzweihundert Metern hörte der Höhenmesser langsam auf zu steigen und Lastwagen kolonnierten sich am Strassenrand auf – ein sicheres Zeichen, dass es bis zum Kontrollposten nicht mehr weit sein konnte. Beim Vorbeiziehen wurden wir angespornt, wie auf den letzten Metern einer Tour de France-Etappe. Ebenso nett wurden wir vom Grenzbeamten begrüsst, der uns mitteilte, dass wir mit dem Rad nicht durch den drei Kilometer langen Tunnel fahren dürfen. Zu dumm aber auch. Zu gerne hätten wir doch diesen engen, vom Lastwagen-Dauergegenverker abgasgeschwängerten Durchgang nach Chile beradelt! Wir liessen uns gerne auf eine sichere Fahrt einladen und warteten, bis uns der Pickup abholte.
Es hätte uns ja suspekt vorkommen sollen, als uns der Zöllner auf etwas zu Essen und zu Trinken einlud, um die fünf Minuten zu überbrücken, bis das Fahrzeug hier sei. Schlussendlich standen wir dann halt eine knappe Stunde im eisigen Wind. Immerhin kam ab und an mal wieder einer der Herren auf ein Plauderründchen vorbei. Just, als wir uns doch dazu durchrangen, unsere Knochen in der Barrake aufzuwärmen, traf unser Abholservice ein und brachte uns durch’s Loch auf die andere Seite der Anden. Die Grenzformalitäten waren reichlich kompliziert, doch wurden wir von den hilfsbereiten Kommissaren von Schalter zu Schalter geleitet. Nachdem wir alle Stempel und Papiere im Sack hatten, wurde noch unser Gepäck nach illegal importierten Lebensmitteln durchwühlt und nach ein paar Sprüchen verabschiedeten wir uns von der Bande und flogen ins Tal. Bereits lag alles im Schatten und wir mussten uns beeilen, bevor die Wasserläufe über die Strasse wieder zufroren. Wie wir das so runterschossen, sahen wir zwei Velöler die Strasse hochkriechen, zwei andere Eidgenossen (wer sonst passiert diesen Pass im Winter...) kämpften sich auf den letzten Metern in entgegengesetzter Richtung bergauf. Wir waren froh, dass wir die Anden von Argentinien her überquert hatten, denn die Strasse schlängelte sich nun in engen Kurven steil hinunter und die Landschaft gab nicht so viel her. Vielleicht muss man auch genügend langsam unterwegs sein, um die Umgebung richtig zu schätzen. Im Eiltempo vernichteten wir sechzehnhundert Höhenmeter und raspelten unsere Bremsklötze ab. In der erstbesten Unterkunft schlugen wir durchgefroren unser Nachtlager auf. Heizung, warme Dusche und ein äusserst delikates Nachtessen bei Kerzenlicht neben dem Kaminfeuer – das war der Empfang, der uns Chile bot.
Wir nahmen’s gemütlich beim Zmorgen, denn heute hätte es eine kurze Etappe geben sollen. Das Wetter verschlechterte sich aber zusehends und wir kamen so gut voran, sodass wir uns entschlossen noch ein wenig weiterzufahren. Dass wir jedoch bis nach Santiago durchradeln würden und dass dazwischen noch ein paar Steigungen lägen, damit hatten wir ursprünglich nicht gerechnet. Der Mangel an Unterkünften und die Tatsache, dass wir zwei Drittel der hundertdreissig Kilometer auf der öden Autobahn zurücklegen mussten, trieb uns vorwärts. Zudem konnten wir so den Vorteil ausnutzen, an einem Sonntag nach Chiles Hauptstadt hineinzufahren. Wir verdrückten die Notfallportion Ovo-Schoggi, die uns ein Spanischklassen-Gspändli von Patrizia überlassen hatte, und strampelten auf dem Pannenstreifen fleissig weiter. Je näher wir der Grossstadt kamen, desto unsympathischer wurde es. Wir hatten bald genug vom Radeln, es wurde langsam spät, alles präsentierte sich grau in grau, es war düster und neblig und die omnipräsenten Colectivos (Russ spuckende gelbe Busse) verstopften die Strassen. Im Zentrum reduzierten wir die Hotelsuche auf das absolut nötige Minimum, verstauten unseren Karsumpel und liessen den Abend bei Frühlingsrollen und Chop Suey ausklingen.
Die Andenüberquerung hatten wir geschafft und wir waren uns bewusst, dass wir sehr viel Glück gehabt hatten. Am nächsten Tag wurde der Pass nämlich erneut geschlossen. Diese Wintersaison war er an so vielen Tagen wie selten zu, zeitweise über zwei Wochen am Stück. Die Verhältnisse spitzen sich teilweise so zu, dass in den bis zu fünftausend Lastwagen, die sich auf beiden Seiten stauten zwei Chauffeure verfroren. Mit den Bergen ist selbst dann nicht zu spassen, wenn sich ein Asphaltband darüber windet.
Mehr über Argentinien und Chile folgt innert Kürze auf diesem Kanal, wenn’s wieder heisst: Was treiben die da unten eigentlich so lange?