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TürkeiKebab-Land
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IstanbulZwischen Okzident und Orient
In der aufgehenden Sonne fuhren wir nach Istanbul hinein und die Satellitenstädte oder -quartiere wirkten auf uns im sanften Morgenlicht schon sehr surreal. Farbige fünfzehnstöckige Wohnsilos quasi mitten auf der grünen Wiese wurden hier raufgezogen, während etwas weiter gegen das Stadtzentrum die „natürlich“ gewachsenen Aussenquartiere gebulldozed werden. Sozialer Wohnungsbau nennt sich das wohl und bis zum Schluss fragten wir uns, ob ein Heim in diesen wohlgeordneten aber gesichtslosen Wohnsilokomplexen, die man überall im Land antrafen, ob dies nun jetzt bevorzugte Wohnlage war oder nicht.
Istanbul, mittlerweile fünfzehn Millionen Einwohner gross, ist ein Koloss von einer Stadt und bezeichnend dafür ist bestimmt auch der unglaublich riesige mehrstöckige Busbahnhof. Wie sollten wir hier je wieder hinausfinden? Mit Englisch war nicht mehr allzu viel auszurichten (ha, hier doch noch was Positives, das wir den Griechen abgewinnen können) und unser Türkisch natürlich auch sehr lückenhaft. Wir konnten den Windungen dieses Monstrums dann doch noch entfliehen und fuhren mal auf der Autobahn, mal auf der kopfsteingepflasterten Gasse ins Zentrum nach Sultanahmet. Immer der Nase nach. Und siehe da, bald schon standen wir vor dem Obelisken. Gab das ein schönes Bild für die Japaner: zwei Schweizer Touris vor der Blauen Moschee. Nachdem unsere Schuldigkeit als Fotosujet getan war, suchten wir uns in der Backpackerallee eine Bleibe. Gar nicht so einfach, denn gerade eben hatten in Europa die Osterferien begonnen und Istanbul schien momentan recht hip als Städtetrip zu sein. Dann nimmt man halt, was übrig bleibt, wenn sonst alles voll ist. Will heissen: Am nächsten Tag zügelten wir bereits in eine andere Unterkunft in einem anderen Quartier. Dort zwar eine Besenkammer im Estrich ohne Dusche/WC, dafür ein nettes Hotel mit gutem Frühstücksbüffet.
Istanbul, das heisst viele Menschen, viel Verkehr, viel Lärm und viel Dreck. Eine pulsierende Stadt, vor allem dann, wenn es von überall her kurz knackt (wenn die Lautsprecher eingeschaltet werden) und kurz darauf von den zahllosen Minaretten der Metropole die Muezzine zum Gebet rufen. Und zwar fünf Mal pro Tag in nicht ganz unbescheidener Lautstärke. Dieser Aufforderung, in die Moschee zu pilgern oder sich zumindest an einem anderen ruhigen Ort Richtung Mekka zu neigen, schien kaum mehr ein Türke nachzukommen. Das Leben nimmt seinen geschäftigen Lauf, ohne dass jemand auch nur mit der Wimper zuckt, wenn Gebetszeit ist. Vielleicht behelfen sich ja auch viele mit der Faustregel, dass es siebenundzwanzig mal wirkungsvoller sei, in Gesellschaft zu beten, als alleine. Da kann man schon ein wenig optimieren und sich bloss einmal pro Woche mit den Kumpels in der Moschee treffen. So wird, wie bei uns zuhause die Kirchen selbst beim Freitagsgebet nur zu einem Drittel voll. Wir hatten uns den ersten Kontakt mit einem mehrheitlich muslimischen Land doch ein wenig anders vorgestellt. Strikter, „gläubiger“. Der Umgang der Türken mit der Religion beziehungsweise mit dem Islam schien recht locker.
Istanbul, das ist das Herz und die Seele der Türkei, auch wenn es ganz am Rande davon liegt. Diese Stadt, „Pforte der Glückseligkeit“, die am Bosporus Okzident mit dem Orient verbindet. Hier trifft nicht nur der asiatische auf den europäischen Kontinenten, sondern es prallen auch Tradition und Moderne zusammen. Während osmanische Holzhäuser langsam verschwinden, schiessen Villen für neureiche Yuppies aus dem Boden, während in den Slums vor den Toren der Stadt glücksuchende Bauern aus dem tiefen Anatolien nach wie vor ihrem ländlichen Leben nachgehen. Nicht nur am (nicht vorhandenen) Kopftuch zeigt sich die Kluft zwischen atatürkschen Modernisten und (islamischen) Traditionalisten. Es waren auf jeden Fall beide Trends zu beobachten und dass jetzt die Türkei unbedingt in die EU und möglichst „westlich“ muss, finden dann den interessanten Diskussionen mit Einheimischen zu schliessen gar nicht etwa alle. Die Türkei ist halt weder arabisch, noch europäisch, sondern ganz einfach türkisch. Und zurecht sind die Türken nicht bereit, ihre Idendität zu Gunsten des Einen oder Anderen aufzugeben
Die grossartigen Sehenswürdigkeiten Istanbuls zu beschreiben, darauf verzichten wir. Wie es schien, war ja sowieso halb Zentraleuropa bereits einmal auf einen Kurztrip hier. Widmen wir uns also lieber dem Kulinarischen. Der Griechische Gyros heisst hier Döner und schmeckt genauso lecker. Kebab heisst nicht zwangsläufig geraspeltes Fleisch in einem Fladen- oder sonstigen Brot (das ist eben der Döner), sondern wird so quasi für jedes Fleischgericht verwendet. Der Präfix macht in diesem Fall den Unterschied, doch egal, was man bestellt hat, geschmeckt hats immer. Viele Menus werden mit Joghurt (aus Schafsmilch) angereichert und die für unseren Gaumen nicht alltäglichen Gewürze und Kräuter machten jedes Gericht zu einem kulinarischen Abenteuer, auf das wir uns gerne einliessen. Und wenn wir schon dabei sind: Fischsandwiches am Ufer des Bosporus schmecken auch dann, wenn man um kein Geld in der Welt in der Brühe, aus der die zappelnden Tiere kurz zuvor gezogen wurden, schwimmen möchte. Gut durchgebraten verflüchtigen sich ja vielleicht auch die angereicherten Schwermetalle.
Andere Metalle, die edleren, fand man zuhauf im riesigen Bazar. Eine gigantische ebenerdige Shoppingmall aus dem sechzehnten Jahrhundert. In den weitläufigen überdachten Gassen fand man so ziemlich jedes Souvenir aus dem ganzen Land und an sich recht erstaunlich, wir gingen mit leeren Händen nach Hause. Aber für uns viel interessanter waren die Strassen rund um herum, wo sich die Einheimischen tummeln und man von Hochzeitskleidern über Särge, Flipflops, Gartenschläuche und Waschmaschinen so ziemlich alles erstehen kann. Dort verbrachten wir auch den letzten Tag in Istanbul, denn es musste noch einiges beschafft werden, weil das erwartete Paket aus der Heimat noch nicht eingetroffen war.
Unter anderem machten wir uns bei einem mobilen "Laminator" schön farbige und laminierte Kopien unserer Pässe. Laminatoren (nennen wir sie mal so) sind mobile kleine Schubkarren mit einem Farbkopierer drauf - nicht die Monsterdinger, die bei uns in den Copy-Shops stehen natürlich, sondern ganz einfache Tintenstrahldrucker mit bereits hundertmal aufgefüllten, doch immer wieder leeren und halb verstopften Patronen. Dazu kommt ein Laminiergerät aus den Anfängen der Elektrizität und unten drin hatte es, das Ganze muss ja mobil sein, einen Benzingenerator, die die ganze Chose mit Strom versorgt. Und dann funktioniert das folgendermassen: Erst mal den Pass kopieren. Dazu braucht es natürlich Papier, das man ebenso natürlich nicht vorrätig hat, sondern sich beim Nachbarn oder in einem Laden besorgen muss. Nur ein Blatt versteht sich. Dann: Die Pässe einzeln kopieren, zwei auf einmal auf den Scanner legen, das geht nicht. Folglich also dasselbe Blatt (man muss ja Papier sparen, da nur eines vorrätig ist) etwa vier Mal durch den Drucker lassen und huiii - dieses Mal war's verkehrt. Von vorn. Erschwerend kommt bei dieser hochkomplizierten Arbeit natürlich hinzu, dass man nebenbei noch einen fettigen Döner verdrücken muss und dass das ganze Wägelchen auf einer ziemlich schrägen Strasse steht und der surrende Generator unten drin vibriert natürlich das ganze Zeugs immer mal wieder runter. Und winden tut's ja auch noch, sodass die losen Blätter nach Belieben durch die Luft flattern. Um Benzin zu sparen, wird der Generator natürlich nach jedem Arbeitsgang ausgeschaltet und muss zehn Sekunden später wieder mühsam rausgegrübelt, angeworfen und wieder reingestellt werden. Dann werden die qualitativ erstklassigen, fettverfleckten Kopien hochpräzise ausgeschnipselt, ebenso präzise aufeinander gelegt und durch den Laminator gejasst. Da dieser wie gesagt schon ein älteres Stück ist und die Walzen wohl unter Schwindsucht leiden, muss das ganze Prozedere einige Male wiederholt werden. Und wer jetzt denkt, das war's, täuscht sich. Weil natürlich kann man nicht erst alles kopieren und zuschneiden und am Schluss laminieren, nein, man wiederholt alle Arbeitsschritte in der seit Menschengedenken genau festgelegten Reihenfolge für jedes einzelne Stück. Danach wird abermals über den zuvor vereinbarten Preis gefeilscht und der Laminator macht die obligatorische enttäuschte Mine, wenn man der plötzlichen Inflation nicht mit einem angemessenen Bakschisch gerecht wird.
Istanbul - PamukkaleDurch Westanatolien
Eigentlich hatten wir ja vorgehabt, in Istanbul auf das Paket mit Ersatzmaterial zu warten, aber die Lust am Reisen war zu gross und wie sich dann herausstellen sollte, hätten wir uns noch geraume Zeit hier niederlassen können. Also fuhren wir am Ostersamstag an den Hafen am Bosporus und nahmen erst mal die Fähre nach Yalova. So ersparten wir uns eine gute Tagesetappe durch unendliche Industrieanlagen. Eine gute Stunde später waren wir bereits am Ziel. Es war mächtig warm und wir seiften uns mit Sonnenmilch ein. Und was sah da unser Auge? Eine Migros! Und erst noch eine MM. Mit Originalschriftzug, also nix wie rein. Aber drin, o weh - keine Farmerstengel, kein Eimalzin, keine Frey-Schoggi. Leider wurde in die Türkei nur das Cooperate Identity exportiert, aber kein einziges Produkt. Sniff... Einem so gluschtig machen aber auch!
Die Strecke wählten wir so, dass wir uns nicht allzuschnell von Istanbul entfernten, da wir ja wieder dorthin zurück mussten, um das Paket, sollte es dann eintreffen, abzuholen. Wir hielten aber tendenziell nach Süden, mitten durch das westliche Anatolien und wie sich herausstellte über kleine und mittlere Gebirgspässe mit recht happigen Steigungen. Teilweise über tausendfünfhundert Meter hoch, sodass am Strassenrand noch Schnee lag. Kalt war uns aber zumindest in den Aufstiegen nicht, denn mit Steigungen von teilweise weit über zehn Prozent waren die Strassen dann doch nicht ganz locker zu erklimmen. Ob es das war, was in uns die Radelfreude noch nicht so recht aufkommen liess? Oder vielleicht die ganze Geschichte, die hinter uns lag? War es die Landschaft, die zumindest am Anfang geradeso gut in der Schweiz hätte sein können, die Traktorenstädtchen, die zwar so exotisch nicht waren, aber dennoch so schmuddelig, sodass sie nicht gerade einladend auf uns wirkten? Bei den Radelpausen und abends im Zelt diskutierten wir des Langen und Breiten, wo der Wurm drin war. War unsere Pause doch zu lang gewesen, um den Rhythmus wieder zu finden? War uns ement das Pedalen verleidet? Klar, es war nicht Südamerika und schon gar nicht Afrika, aber trotzdem, wir waren ja mit dem Radel unterwegs, wie eh und je. Zu sehen gab es ja eigentlich doch noch jede Menge, aber zu „erleben“? Hm...
Nach zwei Tagen selischen Konflikts besserte sich die Lage endlich und zwar drastisch. Vielleicht hat die rhythmische Pedalerei dazu beigetragen, um mit den Gedanken etwas ins Reine zu kommen und die Freiheiten des Reisens zu geniessen. Was aber bestimmt geholfen hat, uns zu "kurieren", war die Freundlichkeit der Menschen auf dem Lande. Es war schier unglaublich, wie offen und herzlich wir empfangen wurden. Die Leute waren interessiert an uns, so wie wir an ihnen. Yüksel zum Beispiel kaufte sich am Markt extra einen Diktionär, um vom Türkischen ins Englische zu übersetzen und als wir ihn Stunden später im Lastwagen auf der Landstrasse erneut antrafen, zückte er sein Handy und rief seinen Cousin an, damit wir mit diesem ein wenig auf Englisch plaudern konnten. Nur, um uns eine Freude zu machen. Am Markt deckte man uns mit Früchten und Gemüse ein, gratis versteht sich, lud uns zum Döner mit Ayran (gesalzener Joghurt-Drink) ein. Von all den Tees ganz zu schweigen. Ganz als ob sich die Anatolier speziell Mühe gaben, zwei Reisenden, die alles in der Welt hatten, die das Privileg genossen, die Welt mit eigenen Augen zu sehen, ihnen genau diese wieder zu öffnen und die Lust am Reisen zu wecken. Wir waren unendlich dankbar über diese schönen Begegnungen und fühlten uns sehr willkommen und wohl bei diesem Völkchen. Endlich, die Reise begann, auch in unseren Herzen.
Das Planen der Route war gar nicht so einfach. Waren wir in Afrika und meist auch in Südamerika gewohnt, dass es genau eine Strasse gab, auf der wir radeln konnten, wimmelte es jetzt auf unserer Karte nur noch so von Strassen und Wegen. Erschwerend kam hinzu, dass wir ja eigentlich gar nicht so schnell vorwärts kommen wollten. Wir riefen immer mal wieder in Istanbul an, um nachzufragen, ob unser Paket bereits eingetroffen sei und immer wurden wir vertröstet. Irgendwann schauten wir nicht mehr darauf. Nach den ersten paar Tagen pendelte die Höhe um tausend Meter, das hiess, dass die Pässe vorderhand mal ein Ende hatten. Dafür wurde es merklich kühler, was irgendwie nun doch wieder praktisch war, da Brös einzig verbleibende Kleider die Garnitur Winterklamotten waren. Wir staunten dennoch nicht schlecht, als wir eines Morgens in unseren Bidons nur noch Eisblöcke vorfanden. Brrr. Kein Wunder, zog es uns jeweils nicht allzu früh aus den Schlafsäcken. Unsere Zeltplätze waren in der Regel auch so gemütlich, zuweilen richtig romantisch gelegen und gut versteckt, dass man sich ungestört Zeit lassen konnte. Zmörgele an der frischen Luft ist ja so herrlich und bis das Zelt vom Kondenswasser wieder trocken war, dauerte es jeweils eine ganze Weile. Da hat der Brö ein bisschen einen Tick: Nie würde er freiwillig das Zelt einrollen, wenn noch irgendwo ein Schnürchen ein kleines bisschen feucht ist.
Ganz allgemein war das Wetter gut und es regnete glücklicherweise nur dann, wenn wir irgendwo einen Pausentag einlegten. Die Städtchen auf unserem Weg gefielen uns mal besser, mal weniger. Das spürt man meist sofort, wenn man irgendwo hineinfährt. Und im Nachhinein kann man sich manchmal fast nicht erklären, wieso es einem jetzt hier gerade so gut gefallen hatte und dort eben nicht. Meist faszinieren uns die ganz unspektakulären Orte, wo es eigentlich nichts zu sehen, dafür jede Menge zu erleben gibt.
Wir hielten Richtung Pamukkale und folgten mehr oder weniger der Hauptroute. So viel Verkehr hatte es nicht und oftmals war die Strasse vierspurig, sodass die Lastwagen uns mit grosszügigem Abstand überholen konnten. Überhaupt wurde in der Türkei sehr rücksichtsvoll gefahren, wir kamen jedenfalls nie in brenzlige Situationen. Natürlich wurde auch immer kräftig gehupt und gewinkt. Ob Bus, Camion oder Polizeiauto, alle freuten sich an unserem Gefährt, taten das lautstark Kund und wünschten uns so eine gute Reise. Wenn wir Halt machten, gesellte sich ab und zu mal jemand zu uns und wir begannen, mit Händen und Füssen zu plaudern. Sie auf Türkisch, wir auf Schweizerdeutsch. Das klappte meist hervorragend. Und wenn mal ein Marktfahrer unterwegs anhielt, gab es Tomaten und Gurken, wenn wir einen Eisverkäufer antrafen, wurden uns Glacé zugesteckt und wenn wir neben der Molkerei anhielten, um uns die Beine zu vertreten, kam bestimmt einer herausgesprungen und überreichte uns frischen Ayran. Beim Tanken (des Benzinkochers) gab es Tee und vom Ladenbesitzer noch einen Powersnack obendrauf. Manchmal hielten die Leute einfach nur an, streckten uns zwei Äpfel entgegen und brausten von dannen. So eine Grosszügigkeit hatten wir nun wirklich noch nie erlebt. Herzensgute Menschen, deren erster Gedanke zu sein scheint, fremden Reisenden die "beschwerliche" Reise möglichst angenehm zu machen. So etwas kann man nicht vorspielen, man merkte, dass dieses Verhalten spontan und von Herzen kam. Dem gegenüber sind die Europäer nicht bloss reserviert, sondern handfeste Egoisten und bei näherem Hinsehen stimmt das eigentlich auch. Bei uns zuhause hilft man gemeinhin, wenn überhaupt, doch bloss einem Freund oder der Familie und kümmert sich am liebsten ums eigene Wohlergehen. Nie und nimmer würde es jemandem in den Sinn kommen, spontan einen Besucher zu sich nach Hause einzuladen oder ihm nachzuspringen, bloss um ihm ein paar Bananen mit auf seinen Weg zu geben. Schon gar keinem Türken mit seinem finsteren, hinterlistigen Blick und dem Krummsäbel hinter dem Rücken. In diesen paar Tagen lernten wir wieder eine ganze Menge übers Leben und hoffen, dass wir uns auch dann noch daran erinnern, wenn wir wieder zuhause sind.
Wovon die lieben Leute sich dafür von uns eine Stange abschneiden könnten, ist beim Umgang mit der Umwelt. Oder sagen wir mal, mit den natürlichen Resourcen. An die mit Abfall übersäten Strassengräben gewöhnt man sich ja schon bald einmal, aber wenn man die dreckigen und stinkenden Flüsse und Bäche sieht, tut einem das weh. Und noch viel mehr als bei uns zuhause müssten die Leute ja gerade hier zu dem sorge tragen, wohin sie täglich das Vieh zum Tränken führen. Dass die Tiere das überleben, scheint uns ein Wunder. Und während die Flüsse so vor sich hinstinken und die zähe Brühe am Unrat vorbeifliesst, wird frisch-fröhlich Trinkwasser vergeudet. Wir kriegen ja fast schon die Krise, wenn jemand während des Zähneputzens den Wasserhahn nicht zudreht und hierzulande installiert man "Duschen" für Autos, die den ganzen Tag laufen, nur damit ab und zu ein Autofahrer drunterfahren kann, um das Dach abzukühlen. Oder man spritzt stundenlang den Bus ab und wenn man damit fertig ist, lässt man das Wasser natürlich weiter laufen. Irgendwann wird ja wohl ein nächster Bus kommen und zum Wasserhahnen laufen ist ja so streng. S'het, solang's het. Picknick, das ist auch so eine beliebte Sache. Findet aber natürlich nur dort statt, wo man auch mit dem Auto hinfahren kann, denn die Türken schleppen den halben Hausrat mit, wenn sie sonntags ins Grüne fahren. Ein geeigneter Picknickplatz ist schon dann, wenn es ein Bäumchen und ein paar Grashalme oder mindestens den Schatten eines Plakates hat. Egal ob daneben eine sechsspurige Autobahnkreuzung ist. Zur Not kann man den Lärm ja mit einem voll aufgedrehten Kassettengerät übertönen. Da reist dann oft die ganze Sippschaft an und es wir eingefeuert, was das Zeug hält. Was zurückbleibt nach so einem Ausflug ist ein Berg Abfall. Manchmal packen sie diesen sogar in einen Plastiksack ein, lassen diesen dann aber trotzdem liegen. Das lernt man hier eben bereits von Kindsbeinen an: Dem Kleinen den glacéverschmierten Mund abtupfen, Serviette auf den Boden schmeissen. Tröpsli auspacken, Autotüre auf, Papierchen auf den Boden schmeissen. Pet- oder Glasflasche leer trinken, Fenster runterkurbeln, Flasche rauswerfen. So läuft das hier und man kommt sich manchmal schon etwas deppert vor, wenn man seinen Abfall über hunderte von Kilometern mitschleppt, um ihn dann in einer der äusserst raren Mülltonnen zu entsorgen.
Die letzte Etappe nach Pamukkale ging tendenziell bergab und da störte das bisschen Gegenwind schon fast nicht mehr. Das Tal wurde weiter, grüner und fruchtbarer. Nachdem wir die letzten Tage durch Gegenden fuhren, die teilweise sehr karg waren und auf denen Schäfer in dicken Mänteln mit ihren Herden umherzogen, war es hier schon üppig grün und es dominierte die Landwirtschaft. Vor allem Baumwolle wurde angepflanzt und in zahlreichen Weber-, Färb- und Schneidereien an der Strasse direkt zu (wie es schien hauptsächlich) Frotteemäntel verarbeitet. Neben der hauseigenen Produktion sahen wir auch viele Outlet-Stores, die die neusten Adidas- und Nikeprodukte zu CH-Preisen feilboten. Doch leider fand sich auch in dieser Fülle funktioneller Sportbekleidung nichts Schlaues, das zum Velofahren getaugt hätte. Diese Sportart wird in der Türkei definitiv vernachlässigt!
Pamukkale, das sind vor allem die bekannten Travertinen, jene Pools, die von dem kalkhaltigen Wasser gebildet wurden, das hier aus dem Berg sprudelt und über eine breite Kante fliesst. Früher konnte man darin noch baden, aber diese Freude ist einem heutzutage leider vergönnt. Dabei sprudelt das Wasser hier mit Körpertemperatur aus den Quellen. Also muss man sich mit einem Barfuss-Spaziergang auf dem kalkigen Weg nach oben begnügen und darf höchstens ein bisschen die Flossen plantschen. Immerhin ein Gratis-Peeling für die Fusssohlen. Angesichts der Touristenmassen ist das natürlich vernünftig und überhaupt scheint die ergiebige Quelle ein bisschen den Hahn zugedreht zu haben, denn nur der kleinste Teil der Pools war überhaupt mit Wasser gefüllt. Die Römer, Genussmenschen wie sie nun mal waren (und wohl noch immer sind) bauten hier ein veritables Spa, in dessen grossen Pool man auch heute noch baden kann. Allerdings ist das nun eine rechte Tourifalle und wir schauten lieber von aussen ins Gehege statt umgekehrt.
Pamukkale könnte man also in einem Tag locker abhacken, auch wenn man die Ruinen der ehemaligen Römerstadt ausgiebig erkundet. Doch wir blieben fast eine Woche. Hier zelebrierten wir nämlich, zusammen mit den liebenswürdigen Managern Karyn und Ibrahim vom Hotel Venüs unser "Parcel-Festival". Jedenfalls tauften wir es so, denn alles schien sich um unser Paket zu drehen, das einfach nicht ankommen wollte. Die netten Leute telefonierten sich für uns von Amt zu Amt, ohne, dass auch nur die geringste Spur unserer Sendung aus der Schweiz auszumachen war. Dass diese vor zehn Tagen den türkischen Zoll erreichte, ersahen wir aus dem Trackingsystem der Schweizer Post, doch von da an waren die Pfade natürlich etwas verschlungen. Dann jedoch, eines Morgens, ring-ring, der Hotelmanager aus Istanbul rief an und teilte uns mit, dass das Paket im Hauptpostamt aufgetaucht sei. Yippeh! Nun brauchte es nur noch ein paar Stempel und Unterschriften und drei Tage später wurde die wichtige Fracht per Kurier und Taxi bis vor die Haustüre geliefert. Das verdoppelte zwar den Frachtpreis nochmals, aber jetzt wo wir so nah dran waren, wollten wir das gute Stück nicht mehr aus den Fingern lassen. Endlich! Das Paket sah bereits etwas zerpflückt aus und wie es schien, wurde es einige Male geöffnet und wieder zugeklebt. Aber, welche Freude, es war noch alles da. Bloss, der Schweizer Schoggi konnten die Zöllner nicht widerstehen. Oder war da vielleicht gar keine drin gewesen? :-) Wie auch immer, unsere Heinzelmännchen zuhause hatten ganze Arbeit geleistet und innert ein paar Tagen war Ersatz für fast all das gestohlene Material in diversen Läden besorgt oder aus unserem Lagerraum gegraben worden. Danke tausend Mal für euren spontanen Einsatz!
So, nun stand also einer Weiterfahrt nichts mehr im Weg. Obwohl wir es hier noch lange ausgehalten hätten. Nette Gesellschaft, schönes Zimmer, gutes Essen (mit einheimischem Wein!), Satelliten-TV mit tausend Kanälen (da flimmerte sogar 10vor10 über den Bildschirm), Liegestühle, gute Bücher und steigende Temperaturen. Ein Wunder, dass wir es überhaupt schafften, zwischendurch etwas am Velo zu werken und Schreibarbeiten zu erledigen.
Fethiye – AntalyaMittelmeer-Ferien-Feeling
In Fetiye fanden wir ein hübsches Städtchen mit Yachthafen und gemütlichen Beizchen. Am Abend schlenderten wir durch die Altstadt, schön herausgeputzt mit Souveniershops und so und als wir am Morgen losfuhren, liessen wir es uns nicht nehmen, den Tag mit einem Cappuccino am Quai, mit Sicht auf die grossen hochglanzpolierten Holz-Segelyachten, zu beginnen. Es war unser erster „Sandalentag“, das heisst so richtig Ferien-Radelfeeling. Es war aber auch mächtig warm im Landesinneren, wo die Meeresbriese fehlte. Beim ersten Stopp an einer Tankstelle wurden wir mal wieder zu einem Çay eingeladen und Patrizia plauderte ausgiebig, wenn auch ohne wirkliche verbale Verständigung mit einer jungen Frau. Sie hätte uns liebend gerne zu sich nach Hause eingeladen, doch auch das vierte Angebot schlugen wir aus (man muss sich ja scheinbar hierzulande immer soundsoviel mal bitten lassen, bis eine Einladung wirklich ernst gemeint ist). Wir waren noch kaum gestartet und wollten nicht schon wieder Pause machen, obwohl es bestimmt interessant gewesen wäre, bei ihnen zu übernachten. Vielleicht ein andermal. Wie immer, wollte auch sie am Schluss unsere Handynummer und wie immer konnte sie es kaum verstehen, dass wir kein solches Ding mit dabei hatten. Wozua auch? Und ganz nebenbei: Wie kommuniziert man eigentlich mit Händen und Füssen per Telefon?
Am nächsten Tag erreichten wir bei Patara wieder die Küste. Hier kam der heilige St. Nikolaus zur Welt. Keine Ahnung, wieso der in unserer Vorstellung mit dem Esel aus dem tief verschneiten Wald oder per Rentierschlitten angetrabt kommt. Hier auf jeden Fall, an einem riesigen, einsamen Strand, wo die Meeresschildkröten ihre Eier in den warmen Sand graben, wirkte der alte Mann mit dem weissen Bart und dem goldenen Bischofsstab reichlich deplatziert. Wir indessen, Barfuss und im Tischi passten perfekt ins Bild und platzierten uns auf den fast menschenleeren Strand und dösten neben der rauschenden Brandung unter der wärmenden Nachmittagssonne. Auf dem Rückweg klapperten wir die Ruinen der alten Römerstadt ab und im Hotel erwartete uns ein leckeres Nachtessen à la Mamma. Und dies, nachdem sie uns bereits am frühen Nachmittag reichlich verköstigt hatten. Vier Generationen sassen im Schneidersitz am Boden oder rannten durch den „Salon“. Es war richtig gemütlich, wir plauderten mit Generation drei, die englisch konnte, Generation zwei rüstete Gemüse und Generation eins kümmerte sich derweil liebevoll um Generation vier, die eben erst laufen gelernt hatte. Familienidylle, wie sie hier hin passt, wir uns aber zuhause eher schlecht als recht vorstellen können.
Wir fuhren durch ein schattiges Pinienwäldchen und als wir eine Passhöhe erreicht hatten, eröffnete sich uns der herrliche Blick auf eine mediterrane Landschaft wie aus dem Bilderbuch. Dunkelgrüne Büsche gaben einige Farbtupfer auf die trocken, mit Steinen übersäten Hänge, die weiter unten als rotbraune Klippen in türkisfarbenes Meer eintauchten. In kleinen Buchten weisser Sandstrand, der zum Bade einlud. Bloss war das Wasser noch einige Grade unterhalb der Genussgrenze. Aber zum Radeln war es erste Sahne, die Strasse wand sich knapp über dem Meeresspiegel der Küste entlang. So sollte es doch immer sein. Die Briese, die uns ins Gesicht blies, schob uns nicht gerade vorwärts, aber wer hat es denn angesichts dieser herrlichen Landschaft schon pressant?
In Kaş merkten wir, dass Brö am Vortag das Stahlkabel zum Abschliessen des Tandems hatte liegen lassen, was insofern nicht störte, als dass wir nun einen Grund hatten, noch einen Tag in diesem hübschen Hafenstädtchen zu bleiben. Ganz wie in bella Italia gabs für uns Gelati und einen Latte macchiato, da war sogar die Dame hinter dem Tresen stolz darauf. Es war wunderbar warm hier, alle Arten von Läden waren geöffnet, das Leben fand draussen statt, die Leute sassen in den Cafés auf den kleinen Plätzen und am Quai. Es herrschte eine gemütliche Atmosphäre und wir kamen in regen Kontakt mit den Einwohnern. Genau das, was uns in Griechenland gefehlt hatte. Vermutlich aber waren wir dort einfach zur falschen Zeit und die Griechen waren noch im Winterschlaf. Denn was wir von anderen Reisenden immer wieder hörten, deckte sich einfach nicht mit unseren persönlichen Eindrücken. Vielleicht geben wir dem Land an der Ägäis doch noch irgendwann eine Chance...
Per Bus wurde das liegengelassene Teil am nächsten Tag geliefert. Das läuft hier ganz praktisch und unkompliziert ab: Man übergibt dem Chauffeur die Ware und teilt ihm mit, wo er sie wieder ausladen soll. Eine neue Fensterscheibe für den zweiten Laden hinter der Kreuzung nach Sowieso, die Medikamente für den alten Herrn ausgangs Dorf beim Haus mit dem roten Gartenzaun oder eben das Kabel in Kaş, wo jemand mit dem Töff am Busbahnhof wartet und das Ding zu uns ins Hotel bringt. Praktisch!
Die Steigung am nächsten Tag war so steil und vor allem so lang, dass ein deutsches Paar extra kehrt machte und anbot, uns ein Stück mitzunehmen. So nett, aber uns war nicht ganz klar, wo sie unser Radel denn gesteckt hätten, war doch ihr Wohnmobil mit einem Achtzig-Kilo-Hund bereits ziemlich bevölkert. Oder vielleicht mit einem Gummischletz hinten anhängen? Ne, das sollten wir jetzt also doch noch alleine schaffen. Und die Abfahrt, die nach dreissig Kilometern folgte, musste ja schliesslich auch verdient sein. Im Nu waren wir wieder auf Meeresniveau und wie auch schon hatte es zwischen Wasser und steiler Klippe genau Platz für ein schmales Band aus Asphalt und somit wurde das mit dem Campen wieder etwas schwierig. Wie gut, dass gegen Abend eine Ortschaft auftauchte, die sogar noch einige Hotels zu bieten hatte. Unsere Pension „at seaside“ war zwar einen halben Kilometer entfernt Strand, dafür sauber. Und wie! Der Hausbesitzer schien ein richtiger Putzfanatiker zu sein und die Frage, ob wir unser Rad ins Zimmer nehmen könnten, trauten wir uns schon gar nicht zu stellen. Bereits vor der Eingangstür mussten wir die Sandalen ausziehen und im Zimmer durften wir unter keinen Umständen was knabbern und selbst im Salon wurde eiligst das Tischtuch entfernt, als wir mit Käse, Tomaten und Brot auftauchten. Wir hätten ja einen Fleck auf das gute Stück machen können. Dafür sparte der gute Mann an einem Moskitonetz im Zimmer und diese fiesen Mücken hielten sich einfach nicht an die Hausordnung „Ungeziefer draussen bleiben“ und nervten uns die ganze Nacht. Aber wir taten, was wir in solchen Situationen immer tun: Kopf einziehen – und zwar bis tief unter das Bettlaken. Sah ein bisschen leichenmässig aus, Malony...
Das pure Gegenteil des keimfreien Hotels war der Campingplatz (oder sagen wir mal die Duschen und Toiletten). Eigentlich eine Zumutung, aber an dieser Küste war es fast unmöglich, wild zu campen, da jeder Fleck zugebaut schien. Wir näherten uns Antalya und Hotelkomplex schmiegte sich hier an Luxusherberge. Und diejenigen, die ihre Tore bereits geöffnet hatten waren bloss die sehr gehobenen, sprich, nicht unsere Preisklasse. Also flüchteten wir uns in der Not auf jenen Zeltplatz, der seine Klos seit letzte Saison nicht mehr gereinigt hatte. Oder war es vielleicht sogar vorletzte?
Die Gewitterwolken zogen sich über dem steilen, teilweise schneebedeckten Küstengebirge zusammen und unsere letzte Etappe in die Urlaubsoase begleitete gelegentlicher Nieselregen. Die folgenden Tage kümmerten wir uns um dies und jenes, um das Gepäck noch ein wenig zu optimieren und nahmen uns fast ein bisschen zu wenig Zeit, um das hübsche Antalya mit seinem antiken Hafen und der schönen und vor allem autofreien Altstadt zu geniessen. Hier wurde gearbeitet, was das Zeugs hielt, denn die alten Gassen sollten rechtzeitig zur Saison allesamt frisch gepflastert werden. Man musste vor allem nachts aufpassen, dass man es ohne Beinbruch durch die dunklen Gassen schaffte, denn die Beleuchtung war etwas dürftig und Berge von Sand, herumstehende Schubkarren und ausgehobene Gräben erforderten sogar tagsüber einiges an Geschick und Aufmerksamkeit.
Wir wären also gerne noch ein bisschen geblieben und hätten unserer neu entdeckten Leidenschaft gefrönt: Lokum, oder Turkish Delight – süsse Versuchungen aus Honig, Pistazien, Nüssen etc. in diversen Geschmacksrichtungen. Himmlisch! Zum Glück haben wir diese Sünde nicht bereits zu Beginn entdeckt... Tja und da fände noch das herrliche Frühstücksbüfett Erwähnung und der Fünfundsiebzig-Rappen Döner-Ayran Combo und der supersüsse Çay (Schwarztee) auf der Parkbank, im traditionellen Tulpengläschen von einem Verkäufer auf dem Silbertablett serviert und das kühle Bier mit einem Sack Chips zum Sonnenuntergang auf der Quaimauer. Und das sind nur ein paar Highlights, um euch ein bisschen neidisch zu machen. :-)
Kein Wunder genossen wir den letzten Tag in vollen Zügen und das Hotelpersonal wurde langsam sichtlich nervös, als wir abends lange rumtrödelten, bis wir unsere Sachen packten. Was sie wussten und wir eben noch nicht, war, dass der Otogar (Busbahnhof) fünfzehn Kilometer ausserhalb lag. Somit wurde es dann für uns recht eng, den Bus noch zu erwischen, zumal wir uns dank der erstklassigen Beschilderung zweimal verfuhren und abends um acht Stossverkehr herrschte. Selbstredend, dass es urplötzlich dunkel wurde und zu regnen anfing. Wie immer, schafften wir es aber auch dieses Mal, am Tandem wurde so lange rumgehebelt, um es im Pullmann zu verstauen, bis eine Lampe zu Bruch ging, der obligatorische Toilettengang vor der Abfahrt endete in einem Hundertmeter-Sprint mit synchronem Noch-Schnell-Proviant-Kaufen und los ging die Reise durch die Nacht ins Zentrum Anatoliens.
KappadokienBei Feuersteins
Göreme machten wir zum Ausgangspunkt für die Erkundung der spektakulären Landschaft Kappadokiens. Und um das Familie-Feuerstein-Feeling authentisch mitzuerleben, wohnten wir in einer Höhle. Natürlich mit Parkettboden und Zentralheizung. Ein bisschen Luxus darf’s schon sein und für einmal war die Wahl eines Zimmers ohne Bad die bessere, da jene mit Nasszelle eher Tropfsteinhöhlencharakter besassen. Der Tuffstein, aus dem die ganze Landschaft rund um den Vulkan Erdiyes geformt ist, eignet sich prima als Behausung, da er sehr einfach zu bearbeiten ist und doch so stabil, dass sich riesige Räume in den Fels hauen, beziehungsweise kratzen oder graben lassen, ohne sich Gedanken über die Statik zu machen. Natürlich sind diese Behausungen heute mehrheitlich Touristen vorbehalten, denn auf Dauer wohl etwas gichtfördernd. Wobei, es gibt auch heute noch mehrstöckige kegelförmige Wohntürme, die von Einheimischen bewohnt werden. Das sieht man an den Satellitenschüsseln im Vorgarten und dem Kamin, der wohl aus der Küchenhöhle aus dem Stein lugt. Die meisten solcher Behausungen wurden schon vor geraumer Zeit verlassen, da die natürliche Erosion die Wände immer dünner werden liess und so wurde dann halt das Wohnzimmer bald einmal zu einer luftigen Terrasse „umgebaut“. Doch nicht nur Häuser, ganze Burgen wurden hier in den Fels geschlagen und viele Kirchen in denen Jahrhunderte alte Fresken dank der Trocken- und Dunkelheit noch heute in prächtigen Farben erstrahlen.
Kappadokien liegt an der Seidenstrasse und ist seit tausenden von Jahren besiedelt und dass sich dessen Bewohner ab und zu vor irgendwelchen Erobern aus dem Abend- oder Morgenland verkrümeln mussten, zeigen die riesigen unterirdischen Städte, die im Sous-Sol in den weichen Tuffsteinboden gegraben wurden und teilweise über lange Stollen miteinander verbunden waren. Riesige Anlagen, zehn und mehr Stockwerke tief mit Kirchen, Stallungen, Weinkeltereien (sehr wichtig) und Schulen. Bestimmt waren diese Reduits sehr sicher (grosse runde Steine wurden vor die Eingänge gerollt und konnten nur von innen bewegt werden), doch scheint die Aussicht auf Wochen oder Monate unter Tage, dicht gedrängt, ohne Tageslicht und ohne Ventilator in der Latrine schon ein wenig beklemmend. Und die konstante Temperatur von ein paar Graden über null mag wohl allenfalls für einen Wein- oder Käsekeller ideal sein.
Nicht nur was der Mensch hier geschaffen hat, ist imposant. Die von Wind und Wetter geformte Landschaft ist atemberaubend schön und wir wanderten einige Tage in den tief eingeschnittenen Tälern umher. Manchmal hinterliess die Erosion steile, überhängende Felskanten, andernorts Meringueförmige (und –farbige) Hügel und teilweise liess sie lediglich spitze, hoch aufragende Felsnadeln zurück, die sogar ganz ohne schmutzige Fantasie an überdimensionale, ihr wisst schon was, erinnern. Die Farbtöne reichen von hochweiss über gelb, grün, rosa, rot und braun, bis zu schwarz und wo es der Boden zulässt, werden kleine Felder Ackerland von den Bauern von Hand oder mit Pferd und Pflug bearbeitet. Die Bienen summten von Blüte zu Blüte, die Vögel zwitscherten und der Wind strich durch die wenigen Bäume in den tiefen Schluchten. Alles in allem also wunderbar idyllisch hier und obwohl Göreme selbst mehrere Dutzend Hotels hat, war es sogar in diesem Dorf sehr gemütlich und das dörfliche Leben nahm vom Tourismus weitgehend unbeeinflusst seinen geruhsamen Lauf. Wir hätten echt was verpasst, wenn wir auf diesen Abstecher verzichtet hätten.
ŞanlıurfaWillkommen in Arabien
Wiederum nahmen wir den Bus, dieses Mal nach Şanlıurfa, im Südosten des Landes, nicht weit entfernt von der syrischen Grenze. Dieses Mal stellte das Verladen des Tandems die Helfer, die immer zur Stelle waren, wenn es was zu gaffen gab, vor eine logistische Herausforderung, denn unser Gefährt musste sich seinen Platz mit einem Töff teilen. Doch mit etwas murksen und fluchen passte dann doch noch alles rein. Schweissgebadet setzten wir uns auf unsere Sitze und ab ging die Post – wie immer in diesem Land überpünktlich, will heissen, im Zweifelsfalle lieber zu früh als zu spät. Zur Erfrischung (und das kam uns natürlich sehr gelegen) kommt in türkischen Bussen der Steward mit einer grossen Flasche Kölnischwasser vorbei und jeder kriegt einen Schluck in die Hände und verteilt sich das wohlriechende Elixier auf Gesicht und wo auch immer es schön frisch duften sollte. Überhaupt war der Service meistens erstklassig. Wasser wurde immer serviert, Tee, Kaffee und Süssgetränke meistens und Knabberzeugs manchmal. Je weiter wir nach Süden kamen, desto heisser wurde es und so schwitzten wir uns durch den Tag, von Kölnischwasser-Dusche zu Kölnischwasser-Dusche, guckten aus dem Fenster über teilweise menschenleere Landstriche, verschlangen Bücher oder dösten vor uns hin.
Ein letzter Schluck aus der wohlduftenden Magnumflasche und wir kamen in Urfa an. Wir realisierten bald, dass wir hier in einem komplett anderen Teil des Landes waren: streunende Kinder am Busbahnhof, alles war lauter, farbiger und lebendiger. Die Stadt empfing und staubig und heiss und für das Hotel Nummer zwei sprach vor allem die Klimaanlage. Die war so „cool“, dass wir uns ein Znacht aus dem Supermarkt besorgten und in unserem Kämmerchen spachtelten, statt in den belebten Gassen. Diese durchstreiften wir erst am nächsten Tag und stellten fest, dass es hier schon recht arabisch zu- und herging. Nicht nur wegen der vielen Männer in traditionellen „Pyjamas“ und in Tschadors gehüllten Frauen, auch der Bazar hatte schon recht orientalisches Flair.
Wir besuchten das Denkmal Abrahams (der hier geboren sein soll) und in der streng nach Männlein und Weiblein getrennten Pilgerstätte, die man natürlich nur barfuss betreten darf, stockte einem fast der Atem, ein solcher Käsegeruch erfülle den engen Raum. So genau scheinen sie es hier nicht zu nehmen mit den rituellen Waschungen. Der Rest der Anlage war dafür grosszügig und vor allem luftig gestaltet. Mit Park, Teich und Rosengarten, sodass wir geraume Zeit im schattigen Café sassen und die Atmosphäre um uns herum genossen. Immer wieder bot sich die Gelegenheit für einen kleinen Schwatz. Mit Pilgern, mit dem Kellner, mit überaus geschwätzigen Fremdenführern, mit jungen Frauen und Männern, die einfach ein bisschen ihr bescheidenes Englisch praktizieren wollten. Die Zeit war gekommen, um Abschied zu nehmen von der Türkei, einem Land, das uns rundum gefiel und immer wieder aufs Neue faszinierte, von diesen herzlichen Menschen, dem Mix der Kulturen und den abwechslungsreichen Landschaften. Rückblickend hätten etwas länger in Anatolien herumreisen sollen. Oder vielleicht sogar am besten die Fähre direkt von Italien in die Türkei nehmen sollen. Aber im Nachhinein ist man ja immer schlauer und wer weiss, vielleicht kommen wir ja irgendwann mal wieder zurück – schön wär’s!