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South KoreaIce Age
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Die Bäderstadt
Dass die Koreaner ihr Heu nicht immer auf derselben Bühne haben, wie die Japaner, ist ja ein alter Zopf. Dass sie einem bei der Ankunft aber so provokativ und penibel das Velo desinfizieren, um nicht mal ein Bakterium aus dem Land der aufgehenden Sonne einzuführen, das grenzt schon an Protektionismus Made in Japan. Wie auch immer, unser Velo wurde also mitsamt Gepäck von Kopf bis Fuss eingesprayt – wurde zwar dadurch nicht sauberer, aber keimfrei.
Es war bereits Abend, als wir vom Ferry Terminal dem Containerhafen entlang nach Busan Downtown hineinfuhren. Und das war unser erstes grosses Willkommen in Korea: vorbei die korrekte und höfliche Art des japanischen Strassenverkehrs. Hier wird gehupt, gedrängt, gezwängt und gewürgt. Und wir mit Sack und Pack mittendrin. Kann uns an dieser Stelle übrigens mal jemand beantworten, ob die Exportmodelle von Hyundai, Kia, Daewoo und Co. ebenfalls über nicht funktionierende Blinker, blinde Rückspiegel und Hupen mit Dauer-Wackelkontakt verfügen oder ob dies den Binnen-Modellen vorenthalten ist?
Es herrschen rauere Sitten in Korea, was aber nicht unbedingt heissen soll, dass die Koreaner weniger freundlich wären. Eher harte Schale, weicher Kern. Aber daran muss sich unsereiner natürlich erst wieder gewöhnen. Als auch an das rauere Klima. Und da will man uns beständig weismachen, dass wir hier unten, am südöstlichen Zipfel des Landes, in der klimatisch mildesten Provinz seien. Ha! – wir froren uns die Löffel ab. Der kälteste Winter seit über drei Jahrzehnten, die niedrigsten Temperaturen seit fast hundert Jahren – man merkt’s. Wir erstanden uns im Outdoor-Klamottenparadies zwei topmodische Daunenjacken mit keckem Pelzkragen. Nur, zu schade, dass die günstigen Stücke nicht nur preis-, sondern auch isolationsmässig eher im unteren Segment angesiedelt waren. Was soll’s, immerhin waren wir nun modisch wieder up to date.
Im Spa brauchten wir sowieso keine zusätzliche Wärmeschicht, denn die Bäderlandschaft, die wir an Patrizias Geburtstag besuchten, bot Temperaturen bis knapp unter den Siedepunkt. Wir hatten also ein Wechselbad höchster Güte und das soll schliesslich gesund sein.
Gesund sind auch Ruhe und Reflexion. Das erste Mal seit etlichen Monaten hatten wir hier im Hostel einen Raum ganz für uns alleine. Und obwohl die Herberge direkt im Stadtzentrum lag, war es angenehm ruhig. Ergo schliefen wir wie die Murmeltiere und unser Rhythmus geriet wieder arg in Schräglage, sprich um drei Uhr früh in die Pfanne und bis zehn Uhr ausschlafen. Nimmt uns ja wunder, wann sich bei uns die senile Bettflucht bemerkbar macht – bis jetzt halten wir uns gut. Wir brauchten diese ruhige Zeit, um all die Eindrücke der letzten Reiseperiode ein bisschen setzen zu lassen. Und da bietet ein Ort, an welchem es gar nicht so viel zu sehen gibt und wo man gar nicht so viel unternehmen will, die optimalen Bedingungen.
Die Südküste
Auch die angenehmste Zeit der Musse muss mal ein Ende haben. Da kann man den Abfahrtstermin noch so lange immer wieder hinausschieben. Also packten wir eines strahlend schönen Morgens unser Rad und verabschiedeten uns von Busan. Strahlend schön, aber bitterkalt. Nur der Verkehr um die Millionenstadt war hitzig. Dank etwas Intuition fanden wir das richtige Nadelöhr, welches uns durch einen abgasgeschwängerten Tunnel gen Westen entliess. Von da an alles hübsch der Autobahn entlang. Vorbei an Raffinerien, Containerhäfen, Fabrikschloten.
Mitten in diesem Radeltag, genau zum richtigen Zeitpunkt, als der Hunger einsetzte und die Durchblutung der Füsse langsam zum Stillstand kam, ein Lichtblick: „Paris Baguette“ wird definitiv unser Lokal der Wahl hier in Korea. Der Duft nach frischem Brot, geröstetem Kaffee und die Aussicht auf eine kurze Pause an der Wärme. Allerdings beschränken sich solch westliche Oasen auf die grösseren Städte. Dazwischen war es manchmal eher ein bisschen schwierig, etwas Ansprechendes für den Lunch zu kriegen. Picknick an der frischen Luft aber auch keine Alternative und deshalb landete man dann eben in Restaurants oder Essbuden, wo man kein Wort verstand und ganz bestimmt das Menu an der Wand nicht entziffern konnte. Und natürlich tippte man da ab und zu mal auf den nahrhaften Innereien-Eintopf, das doppelt frittierte Undefinierbare und ähnlich Appetitzügelndes.
Dass die Koreaner ansonsten gesund essen, oder zumindest dies von uns erwarten, zeigten die netten Gesten von vorbeiflitzenden Autofahrern. Man steckte uns Früchte, Milch und Vitaminsäfte zu. Wir natürlich eher Lust auf Snickers, Pommes Chips und Co., aber das ist eine andere Geschichte.
Winterzeit ist aber nicht nur eine Zeit des Winterspecks, sondern auch Zeit für Eingemachtes. Und darin sind die Koreaner wahre Künstler. Eingelegter Rettich, Auberginen, Pilze und, der König der Einbalsamierten: Kimchi. Jedes Essen ist, neben einer ganzen Anzahl anderer Beilagen wie Seegras, stecknadelgrossen Fischchen, gedörrten Bohnen, Sprossen, Salat et cetera, welche in kleinen Schälchen und Töpfchen teilweise den ganzen Tisch belegen, von Kimchi begleitet. Und wir lieben diesen eingemachten Kohl! Anders als unser Sauerkraut, ist Kimchi nicht nur sauer, sondern von einer Raffinesse, welche alle Geschmacksnerven Amok laufen lässt. Süss, sauer und scharf zugleich. Und jedes Mal wieder anders, im Biss, der Farbe und der Würze.
Und was ist die Würze einer Radstrecke? Was lässt einem die Farbe ins Gesicht steigen und trotz Minustemperaturen das Salzwasser aus den Poren quellen? Steigungen – und zwar mit Biss. Korea mag wohl nicht mit gigantisch hohen Pässen aufwarten, aber das immer wiederkehrende Auf und Ab von teilweise brutalen Steigungen und kurzen Abfahrten hält einem ganz schön auf Trab. Vor allem auf den Nebenstrassen, welche sich eher ans Gelände anschmiegen als die vierspurigen Highways, die ebenfalls die entlegensten Ecken erreichen. Nicht immer allerdings war es so einfach, den grossen Strassen auszuweichen, zumal die Klassifizierung einiges zu wünschen übrig liess und sich hinter manch vermeintlich ruhiger Landstrasse eine ziemlich stark befahrene Autobahn verbarg. Keine Ahnung, wohin all dieser Verkehr floss, denn oftmals fuhren wir über lange Hängebrücken (in dezentem Orange) auf „entlegene“ Inseln oder Halbinseln auf welchen es unserer Ansicht nach eigentlich nur ein paar Kartoffeläcker und den ein oder anderen Fischerhafen haben dürfte. Vielleicht haben die omnipräsenten GPS-Navigationssysteme koreanischer Autos auch allesamt einen Softwarefehler und statt direkt von A nach B wird man über das Hinterland geroutet. Vielleicht aber auch staatliches Verkehrsentlastungsprogramm, um die überfüllten Riesenagglomerationen zu umgehen, oder aber auch ganz einfach gewünschter Sightseeing-Modus.
Dass sich die technikverwöhnte junge Generation ohne elektronische Orientierungshilfen kaum mehr zurecht findet, zeigt folgender Kommentar eines koreanischen Twens: „Ich kann doch unmöglich per Zug von Mailand nach Neapel reisen. Wie soll ich mich denn da orientieren? Da nehm‘ ich doch lieber das Flugzeug.“ Das ist einleuchtend. Wir wurden auch mal gefragt, ob unser GPS denn auch Videos abspielen kann. Leider nein. Nun, das sei vermutlich auch gut so, denn das wäre ja gefährlich, wenn man von einer spannenden Szene abgelenkt sich nicht auf den Verkehr konzentrieren könne. Im Auto ist das natürlich was ganz anderes...
Die Meerbuchten waren mit Eisplatten belegt, die Flüsse steifgefroren. Fischer fuhren mit ihren Einachstraktoren auf das Watt und sammelten Krebse und Muscheln ein, während sich die Kinder auf den Eisflächen zugefrorener Gewässer austobten. Es war oft so kalt, dass einem, oder sagen wir mal vor allem Einer, jeweils binnen kürzester Zeit jegliches Leben aus Händen und Füssen entwich und diese kaum mehr warm zu kriegen waren. Zeit also für etwas Balsam für Körper und Seele. Als es weiter südlich nicht mehr ging auf dem Festland, bestiegen wir die Fähre nach Jeju, der Feriendestination Nr. 1 in Korea.
Jeju-do, die Ferieninsel
Das Fährschiff war gross, die Wellen aber auch. Es schaukelte mächtig und wir hofften, dass die Lastwagen im Laderaum gut verankert waren und nicht gegen unser Radel knallten, wenn der Kahn mal wieder extraschief über einen Brecher stiess. Der Wind stob die Gischt über den Bug und es schneite horizontal – willkommen im Ferienparadies! Ob dieser Garstigkeiten suchten wir uns als allererstes einen warmen Unterschlupf, als wir nach der sechsstündigen Überfahrt die Hafenstadt Jeju erreichten.
Denn, Unterschlupf in Korea war für uns Luxus pur. Wir verzichteten aus offensichtlichen, vor allem temperaturinduzierten Gründen aufs Campieren und stiegen in Motels ab. Zu vernünftigen Preisen erhielt man hier nämlich viel Annehmliches. Allem voran eine überaus gut funktionierende Bodenheizung, welche manchmal sogar noch durch eine Heizdecke komplimentiert wurde. Dazu einen Fernseher mit ein paar internationalen Kanälen, meistens Flachbildschirm, manchmal so breit wie das Doppelbett. Dazu Computer oder zumindest Internetanschluss, Kühlschrank, Heiss- und Kaltwasserspender, Kaffee und Tee frei Haus. Von Zahnpasta über Schampoo, Haarspülung, -bürste, -gel und -föhn bis zum Rasierwasser und der Gesichtslotion – alles vorhanden. Manchmal nicht nur Zündhölzer auf dem Nachttisch, sondern auch Kondome. Dazugehöriger Begleitservice und -geräusche inbegriffen. Wir natürlich mit Fernsehen beschäftigt – den kann man auch ziemlich laut stellen, wenn’s sein muss ;-)
Mit der Zeit kriegte man allerdings den Dreh raus, welche Etablissements Klientel des Rotlichtmilieus anziehen. Denn nicht alle waren ehrbare Love-Hotels nach japanischem Standard, in welchen sich Jungverliebte, Eheleute und ähnliche Paarungen zum Schäferstündchen trafen. Man erkannte dies zwar nicht anhand der landesweit üblichen Kennzeichnung durch ein neonrot leuchtendes Symbol, welches auf ein Motel (aber interessanterweise ebenfalls auf eine Sauna oder öffentliche Badeanstalt) hinweist und auch nicht an dem anonymen Guckloch auf Bauchhöhe, bei welchem selbst wir uns bücken mussten, um mit der Rezeptionistin zu verhandeln. Dieses Schiebefensterchen, wo man seine x-tausend Won ganz anonym und ohne Blickkontakt gegen den Zimmerschlüssel tauschen konnte, war nämlich allen gemein. Aufschlussreicher waren da schon eher eine grosszügige Videosammlung eines gewissen Genres (welche natürlich durchaus auch bloss instruktiven Charakter für unerfahrene Jungvermählte haben konnte oder der Stimulation bereits mehrfacher Elternpaare dienen konnte) oder freizügige Visitenkarten auf der Ablage (das wäre dann die etwas geräuschintensivere Variante von Zimmernachbarn). Aber wenn man durchgefroren und müde ist, übersieht man solche Kleinigkeiten grosszügig.
Jeju allerdings nicht Ibiza oder Pattaya und deshalb schön ruhig. Zumindest in der Winterzeit. Es gibt doch nichts Schöneres, als vom beheizten Zimmer auf tanzende Schneeflocken zu schauen. Dazu einen heissen Braunreis-Grüntee oder ein Maxim-Three-in-One-Kaffee. Im Hintergrund RadioSwissJazz per Internet und PC-Lautsprecher. LG – Life’s good!
Zurecht trägt Jeju den Beinamen „die Windige“. Clever, wie wir sind, starteten wir zur Umrundung der Insel mit dem Wind – man weiss ja nie, vielleicht ändert sich die allgemeine Windrichtung doch einmal, bis wir halb rum sind. Das allgemeine Klima nämlich schlug langsam um und belohnte unseren Effort doch für zwei Tage mit strahlendem Sonnenschein, welcher die Temperaturen endlich mal über den Nullpunkt hievte. Nicht für lange allerdings, und uns blies der eiskalte Wind erneut ins Gesicht. Wir schafften jedoch die viertägige Umrundung doch noch, bevor sich die Schönwetterperiode definitiv wieder verabschiedete.
Wir jammern hier von Wind und Wetter. Aber ein bisschen an der Kälte velölen ist doch einfach nichts im Vergleich zudem, was die Haenyeo, die Meerfrauen (jung sind sie nicht mehr) tagtäglich ertragen. Diese Freitaucherinnen zwängen sich in einem Alter, wo wir uns vermutlich schon lange von Gichtanfällen und ähnlichem geplagt auf unseren bequemen Ohrensessel zur Ruhe gesetzt haben werden, in ihre Neoprenanzüge, setzen ihre rosaroten Tauchermasken chinesischer oder nordkoreanischer Produktion (zumindest dem Design à la Jacques Cousteau als Zehnjähriger nach zu urteilen) auf und schwimmen hinaus. Und wie erwähnt, hier nicht mediterran, sondern Korea und Meerwasser ziemlich eisig. Bewaffnet mit einer Harpune oder einem scharfen Messer tauchen die Frauen im Apnoemodus hinunter in die Tiefen des Ozeans. Dort suchen sie den Meeresgrund nach Tintenfischen, Muscheln, Seegurken, Seeigeln und Fischen ab oder mähen einen Ballen Seegras. Nach einer Weile durchbrechen sie wieder die Oberfläche, deponieren den Fang im Netz, holen kurz Luft und scannen bereits wieder den Grund ab, um erneut zielstrebig abzutauchen.
Ist die Tagesquote erreicht, sieht man die alten Frauen, Haube und Maske noch immer auf dem Kopf, tropfend nass im Neopren, den Fang auf den Schultern, die Boje unter dem Arm im eisigen Wind nach Hause marschieren oder auf dem Mofa zum Markt rollen. Und wir zählen derweil, wie viele warme und trockene Schichten aus Hightech-Stoffen wir heute Morgen angezogen haben. Weicheier! Und da gibt es doch tatsächlich Leute, die behaupten, es sei eine Leistung, per Tandem sorgenfrei um die Welt zu fahren. Sieht man in diese von Falten zerfurchten Gesichter, wird alles relativ. Ob dieser nicht gerade gemütlichen Arbeit erstaunt allerdings auch nicht, dass der Nachwuchs der Haenyeo nicht ganz gesichert ist. Wir haben auf jeden Fall keine Meerfrau unter fünfzig Jahren gesehen.
Wer MeerJUNGfrauen sucht, der muss wohl im Sommer wiederkommen, wenn sich Highschoolgirls und Honeymoonerinnen am Strand rekeln. Oder, wenn, wie wir, ihn der falschen Saison hier, in einem der unzähligen Museen, welche das Ferienparadies zu bieten hat. Da gibt es nämlich gleich eine Handvoll frivoler Stätten (mit teilweise illustren Namen wie „Sex and Health Museum“), welche den jungvermählten Ehepaaren vermutlich etwas Nachhilfe geben sollen in Sachen Hochzeitsnacht. Daneben gibt es aber auch kinderfreundliche Museen, wie das Schokoladen-M., das Grüntee-M., das Vulkan-M., das Fischer-M., das Friedens-M., das Muschel-M., kurz und gut, ein Museum für so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann. Mit Vorliebe mit dem Präfix „World“ oder „International“ versehen – das sieht doch einfach besser aus!
Trotz all dieser belehrungsreichen Einrichtungen war es für uns eher die Natur, die uns fasziniert hat. Der weltweit längste Lavatunnel zum Beispiel oder ganz einfach die schönen Küstenstrassen entlang der wenigen Abschnitte, welche noch nicht verbaut sind. Doch so richtig den Ärmel reingezogen hat es uns hier nicht. Und als es am letzten Tag erneut Schnee über die Insel fegte, änderten wir kurzerhand unsere Reisepläne und bestiegen die Fähre direkt in den Norden, anstatt die West- oder Ostküste hoch zuradeln.
Seoul
Auf Koreas Fähren ist einfach alles ganz anders als in Japan. Das fängt schon damit an, dass sie viel überlaufener sind und ein einziges Gewusel herrscht am Terminal. Dann, was für uns allerdings praktisch ist, kann man sein Velo jederzeit vorbei an riesigen Gabelstaplern und Sattelschleppern in den Laderaum fahren, ohne dass man sich erst einreihen und rumstehen muss. Manchmal wollen sie nicht mal ein Ticket sehen. Das Rad wird dann zwar nicht mehr so liebevoll mit Wolldecken gepolstert, aber ein bisschen Festzurren reicht doch eigentlich auch. So ein Tandem friert ja nicht, will einfach nach getaner Arbeit in Ruhe gelassen werden, wie ein Ackergaul, unbeweglich dastehen uns stoisch vor sich hinstarren.
Wir reisen ja immer in der dritten Klasse, das heisst, schlafen im Gemeinschaftsraum, auf dem Boden. Nur dass die es hier mit dem Boden ganz genau nehmen und einem auf dem Linoleum schlafen lassen – wo hingegen es in Japan zumindest Teppiche und meistens sogar Matten hatte. Inklusive Wolldecken und manchmal sogar Leintücher. Identisch allerdings die kunstlederbezogenen kubusförmigen Kopfunterlagen (hier von Kissen zu sprechen wäre irreführend). Der Hauptunterschied aber (abgesehen davon, dass nicht alles so picobello funktioniert und sauber ist), machen die Mitpassagiere aus. Die waren in Japan, nun, Japaner eben: höflich, korrekt, leise und strengstens darauf bedacht, ja niemandem zu nahe zu kommen oder zu stören. Aber hier, das pure Gegenteil: Es wird gesungen, es werden Karten gespielt, einander die Plätze weggeschnappt, getrunken, gejohlt, gegrölt, geschnarcht. Ein Wunder eigentlich, dass wir überhaupt ein Auge zugetan haben auf der fünfzehnstündigen nächtlichen Überfahrt. Nach zwei, drei Bieren und getrocknetem Tintenfisch konnten wir dem harten Alkohol, der die Runde machte, um Haaresbreite entrinnen...
Ausgeschlafen galt es nur noch, die fünfzig Kilometer vom Fährhafen in Incheon nach Seoul abzustrampeln. Was uns dank Google Maps und GPS ganz passabel ohne grosse Umwege gelang. Unterwegs noch schnell in ein Warenhaus, Füsse auftauen und schön farbige Velohelme erstehen. Nicht wegen Glatteisgefahr, sondern weil die in Neuseeland, unserer nächsten Destination, vorgeschrieben sind.
Seoul – die Seele und das Nervenzentrum Koreas. Eine Zwanzigmillionen-Metropolis, die sich so gar nicht anfühlt. Ein paar Wolkenkratzer, ja, aber selbst im Stadtzentrum hat es viele Häuser mit bloss ein, zwei Stockwerken. Wenn Seoul etwas nicht ist, dann ist es, zumindest architektonisch, hip und modern. Schlendert man durch die Strassen, kommt es einem teilweise vor, als befände man sich in einer Kleinstadt. Andernorts, als sei man in einem riesigen open-air Shoppingcenter. Kleine und kleinste Läden Tür an Tür. Je nach Quartier vorwiegend schicke Boutiquen, Handy-Shops, aber auch Handwerkerläden mit allem, was man sich vorstellen kann: von der Stecknadel bis zu Kugellagern für Monsterfrachtschiffmotoren. Durchmischt mit kleinen Tante-Emma-Läden, Coiffeursalons, Doughnut-Buden und vielen vielen Cafés à la Starbucks. Vor allem in der Innenstadt sah man kaum jemanden ohne Java-Pappbecher herumlaufen. Coffee is trendy! – was Brö natürlich sehr zugutekam :-)
Aber Korea nicht nur trendy, sondern auch traditionell. Selbst im Winter waren die omnipräsenten Garküchen in allen Gassen gut besucht. In dampfenden Töpfen schwammen Fischfrikadellen an Holzspiesschen im Wasser und Reisplätzchen in pikanter roter Sosse. Meistens wurde das Sortiment noch durch in Seegraspapier gerollte gefüllte Reisstangen und frittierte Gemüse-Tintenfisch-Plätzchen abgerundet. Hinter dem Tresen eine dick eingemummte Frau und um den Stand immer eine Handvoll Leute, die sich an diesen Köstlichkeiten labten.
Auch ein Restaurant war nie weit. Unsere Liebschaft mit Kimchi haben wir ja bereits ausgiebig abgehandelt, aber da wir in erster Linie überzeugte Nicht-Veganer sind, zog es uns nicht wegen irgendeines zerschrumpelten Blattgemüses in die Gaststätten, sondern wegen der famosen BBQs. Tischgrill ist nicht eine zentraleuropäische Erfindung der Achtziger, sondern hat in Korea Tradition. Viele Gerichte werden direkt an der Tafel zubereitet. Meist auf speziellen Tischen mit Gas- oder Kohlegrill in der Mitte. Sei es ein brutzelnder Eintopf oder der König unter den Grilladen, Bulgogi oder Galbi, marinierte Rippchen oder mit der Schere zersäbelte Fleischstücke welche, wenn gar, in Salat- und Perillablätter gewickelt und in fermentierter Bohnensosse gedippt genossen werden. Herrlich! Dazu ein eiskalter Soju, ein Süsskartoffellikör, und der Festschmaus ist perfekt.
Die grosszügigen und picobello renovierten Tempel- und Palastanlagen in Seoul boten aber noch etwas anderes als Ess-Kultur und waren ein schöner Kontrast zu all der schnellen, farbigen, blinkenden Dynamik der Metropole. Zyniker, von welchen wir uns natürlich in aller Form distanzieren, würden behaupten, dass Ansammlungen schön hergerichteter aber architektonisch nicht sehr abwechslungsreicher Häuser manchmal fast schon etwas langweilig und leer wirkten. Da waren die omnipräsenten Feuerlöscher – welche jedes schöne Fotosujet zunichtemachten – gerade noch willkommene Farbtupfer. Aber eben, nicht jeder Tourist versteht dasselbe unter „Sehenswürdigkeit“ und die Faustregel galt auch hier: Was nichts (oder nur wenig Eintritt) kostet ist oftmals mehr wert.
Deshalb waren wir auch nicht abgeneigt, mit dem Gratisbus von Korea Tourism etwas in der Gegend herumzureisen. Wir hatten bis jetzt durchwegs gute Erfahrungen mit den netten Damen der Touristeninformation in Seoul gemacht. Sie konnten jede unserer auch noch so skurrilen Fragen beantworten (wo kriegt man dieses und jenes Material, um das Velo zu verpacken, wer bringt einem um fünf Uhr morgens mit Sack und Pack an den Flughafen etc.), telefonierten für uns herum und druckten Karten aus. Natürlicherweise waren wir trotzdem etwas skeptisch, als wir morgens mit dem kostenlosen Touristenbus pünktlich losfuhren. Wir erwarteten, während der ganzen Fahrt vollgelabbert zu werden und mindestens fünf Mal in einer Bildhauerei/Teppichgeschäft/Glasbläserei/Schmuckladen/Holzschnitzerei anzuhalten und durch deren Souvenirshopauslage geschleust zu werden. Und auch, dass wir zum Kaffee oder Lunch in ein überteuertes Restaurant ohne Wahlmöglichkeiten zwangschauffiert werden würden – wie das sonst wo meist der Fall ist. Nichts dergleichen. Die netten Fahrer und Reisbegleiter zeigten anfangs nur einen fünfminütigen Film über unsere Destination und liessen uns für den Rest der Fahrt in unseren grosszügigen Sesseln dösen. Sie setzten uns mitten im Zentrum des Geschehens ab und wir liefen nicht vollbepackt mit Flugblättern und Broschüren raus, sondern bloss mit einem guten Tipp, was wir uns denn anschauen sollten. Das war wirklich unerwarteter Service, welcher Vorbildcharakter haben sollte. Okay, ein bisschen waren wir schon enttäuscht, so ganz ohne ein Pfund Butter, ein halbes Dutzend Eier und einen frischen Zopf oder mindestens eine Picknickdecke in Schottenmuster abserviert zu werden. Doch weil es ansonsten beim ersten Mal so gut geklappt hatte, buchten wir uns gleich noch für eine zweite Tour ein. So reisten wir also per Car, statt per Velo quer durch die Lande und klapperten ein paar weitere „Must-see-Sehenswürdigkeiten“ ab.
Trotz der schönen Busfahrten war es rückblickend eher eine kulinarische Reise durch Südkorea. Das Radeln machte wegen der Eiseskälte, dem beissenden Wind und des Verkehrs nur bedingt Spass und somit beschränkten wir unserer Route auf den Süden des Landes. Ein bisschen schade, denn wir sind uns sicher, dass Korea im Sommer eine ganz andere Erfahrung wäre. Vor allem auch, was den Kontakt zu den Einheimischen betrifft. Es ist zwar nicht ganz so schlimm, wie bei uns zuhause, aber auch hier spielt sich weniger Leben auf der Strasse ab, wenn Frau Holle kräftig am Bettzeug schüttelt.